Autor Sabine Ruhland, Fotos Foodhunter

„Bei uns gibt es keinen Kinderteller.“ Der 8-jährige Paul aus München zieht eine Schnute, weil ihm die Nudeln mit Tomatensoße verwehrt bleiben. Seine Eltern ratlos, doch so ist das in Belgien. Die Kinder essen, was auch die Erwachsenen essen, kleinere Portionen, oftmals sogar kostenlos, dafür sitzt der Nachwuchs artig am Tisch, isst anständig und lernt dabei jenes wertzuschätzen, das alle Belgier vereint: das Essen. Wo, wann, was gegessen wurde, ist zentraler Dreh- und Angelpunkt, weshalb es pure Ignoranz ist, die belgische Küche auf ‚Moules-frites’ (Miesmuscheln mit Pommes) zu reduzieren. Essen gehört zur Kultur, keine Vertragsunterzeichnung oder Mitarbeitereinstellung ohne vorher gemeinsam gegessen zu haben. Der „Code“, den es dabei zu beachten gilt: Erst nach dem Hauptgang über geschäftliche Angelegenheiten sprechen.

Heute heißen die Künstler nicht nur Jan van Eyck, Paul Rubens oder Anthonis van Dyck oder, sondern Geert Vanhecke, Viki Geunes, Reinout Reniere oder Olly Ceulenaere.

„In Belgien definiert man sich, indem man sinnvoll über Essen redet“, werden wir aufgeklärt. Materielle Statussymbole sind nebensächlich und so geben die Belgier viel Geld für gute Produkte aus, besitzen Supermärkte, die in ihrer Vielfalt und Preisgestaltung keinerlei Chance auf dem deutschen Markt haben, was einige gescheiterte Versuche bereits verdeutlichen. Mittelmäßige Restaurants im Convenience Style sind in Belgien verpönt, was das Angebot an hoher Qualität für den Gast steigert, denn die Restaurants setzten sich gegenseitig unter Konkurrenzdruck. Das zeigt sich auch auf den Tellern, die von höchster Kreativität zeugen. Heute heißen die Künstler nicht mehr nur Jan van Eyck, Paul Rubens oder Anthonis van Dyck oder, sondern Geert Vanhecke, Viki Geunes, Reinout Reniere oder Olly Ceulenaere.

Brügge

Stadt der Chocolatiers

Brügge, im Sommer ein Touristenmagnet, das Schicksal mit Venedig teilend: Tausende von Touristen, die durch die Gassen strömen, für Grachtenfahrten Schlange stehen und die Schokoladengeschäfte stürmen. „In der Hauptsaison gehen die Einheimischen kaum in die Innenstadt“, sagt Anne de Meerleer.
Der Ansturm ist verständlich angesichts einer Stadtkulisse, die einem Harry Potter Film entsprungen zu sein scheint. Türme, die sich hinter schmalen Häusern in den Himmel recken, dunkle Wasser, die unter steinernen Brücken gurgelnd von einem gefräßigen Schlund aufgesogen werden, das Geklapper der Pferdehufe auf dem Kopfsteinpflaster, wenn Droschken durch die Gassen holpern. Ab November ist Brügge weit weniger besucht, ein Dorado für Romantiker und all jene, die im Licht von Kaminfeuer und Kerzen einer winterlichen Melancholie verfallen wollen. Seelenheil ist nicht fern, Brügge ist die Stadt der Chocolatiers.

Weit mehr als 50 Schokoladengeschäfte haben sich in Brügge etabliert, alle produzieren in Handarbeit und in bester Qualität. Das perfekte Schoko-Souvenir ist der „Brugsch Swaentje“, eine Praline in Form eines Schwans und einer Hülle aus dunkler oder weißer oder Schokolade und mit einer speziellen Praliné-Füllung.

Wer die Stadt auf eine süße Art und Weise kennenlernen will, kann beim Tourismusamt einen geführten Schokoladenspaziergang durch die Stadt buchen.

Bekanntester Chocolatier ist Dominique Persoone mit seinem Geschäft  „The Chocolate Linie“. Ein Fantasia-Land mit Himbeermund à la Dali, nach Weizen schmeckenden Hanfpralinen oder Lemongras-Kunstwerken, die uns direkt ins Reich des Drachens katapultieren. Die Handwerkskunst ist offensichtlich, denn nur eine große Glaswand trennt die Kunden von der „Werkstatt“. Das süße Reich verlassen wir natürlich nicht ohne gefühlte 10.500 Kalorien in der Tüte.

Bei ‚B by B’ lässt sich die Qualität nur erschmecken. Stilvoll wie in einem Juweliergeschäft sind die Pralinen in Reih und Glied als Mini-Barren aufgereiht. „Sie mögen probiierren?“ Wir mögen. Neben unvergleichlichen Marshmallows mit Yoghurt-Erdbeer-Geschmack, bekommen wir eine schwammähnlich aussehende Schokolade, ein festes Luftgebilde, das am Gaumen knackt, um schmelzend das erfrischende Aroma von Bernadotte freizugeben.

Restaurant Zeno

Die Villa von Reinout Reniere

Nach süßen Sünden gelüstet es nach Herzhaftem und der Weg führt ins Restaurant Zeno. Eine Stadtvilla, die durch tiefe Fenster das Licht  ihrer Kronleuchter wie Goldtaler auf die Straße wirft. – Zumindest bei unserem Besuch. Inzwischen wurde das Design verändert, die Farbe Weiß hat alles überzeichnet. Wände, Tische, Stühle – alles in weiß während die Kronleuchter durch puristisches Lampendesign ersetzt wurden. Dafür hat sich die Terrasse in ein romantisches Hideaway verwandelt. Das Essen von Anfang bis Ende eine Überraschung.

Restaurant Zeno Brugge, foodhunter

Die Miesmuscheln liegen auf einem Bett kleiner Muschelschalen, baden in einer grünen Soße aus sieben Kräutern, wobei die Zitronenmelisse ihre Frische charmant in den Vordergrund rückt. – Die dritte umwerfende Vorspeise nach den hauchzarten Blätterteighütchen mit einer Creme aus Käse und Bier sowie einer Kürbissuppe, bedeckt von einem kühlen Buttermilchschaum, und damit dem Gaumen ein sinnliches Warm-kalt-Erlebnis gönnend.

Wir sind bei Reinout Reniere, der in der Villa kocht und lebt. Die Küche ist winzig, liegt am Ende des Ganges, seine Frau hilft im Service, die Töchter hüpfen nach der Schule die Treppe hinauf, der Kellner im Anzug präsentiert die hausgemachte Brotvielfalt  mit gleicher Aufmerksamkeit wie Essen und Wein.

Restaurant Zeno Brugge, foodhunter

„I don’t like it easy.“

Wir sind binnen Minuten entschleunigt, genießen es, zwischen Kristall und Marmorkamin zu sitzen und auf die Gemälde des Vaters von Reinout zu blicken, der sich der Kunst gleichermaßen hingibt wie der Küche.

„Von meinen Eltern habe ich diese unbändige Lust aufs Kochen geerbt. Es liegt mir im Blut“, sagt Reinout Reniere, heute 32 Jahre und seit sieben Jahren Chef des Zeno. Eine Herausforderung, doch das passt zu seinem Lebensmotto: „I don’t like it easy“.

Restaurant Zeno Brugge, foodhunter

 

Was dem perfekten Auftakt folgt,  ist „Plaice“, eine Scholle, die der Koch mit Kürbismousse und Shrimpssoße kombiniert und eine Ente, die wie ein Rehfilet anmutet und von frischen kleinen Gemüsen garniert ist. Es zergeht auf der Zunge. Die Produkte sind handverlesen, Reinout arbeitet mit ausgesuchten Farmern zusammen, hat seinen persönlichen Lieblingsplatz bei Loca Labora, seinem Kräuterlieferanten. Als wir ihn verlassen, tragen wir ein seliges Lächeln im Gesicht.

Am Abend sind wir im rund 50 Kilometer entfernten Gent, das seinen Namen dem ‚selbst ernannten Kaiser’ Karl V. verdankt, dessen Ziel es war Paris wirtschaftlich „in den Handschuh (franz. Gant) zu stecken“, was heute so viel bedeutet wie ‚in die Tasche zu stecken’.

Gent ist für Insider die schönste Stadt Flanderns, quirlig durch ihre Studenten, opulent ausgestattet mit einer „kathedralischen“ Kulisse und eine liebevolle Sturheit pflegend: kein Schokoladen-Tourismus und alle Fassaden müssen erhalten bleiben, wer auch immer kaufen oder bauen will. Mit Einbruch der Dunkelheit verwandelt sich Gent in eine Stadt des Lichts und niemand kann sich diesem Zauber entziehen, schon gar nicht, wenn er einer nächtlichen Grachtenfahrt beiwohnt, vorbei an beleuchteter Geschichte. Heiratsanträge mögen hier fallen, Liebesschwüre oder auch einfach nur schweigendes Staunen. Etwas verfroren und zurück in der Jetztzeit gelüstet es uns nach dem Trubel eines kulinarischen Hotspots: Volta.

Das Restaurant hat sich eine ehemalige Stahlfabrik als Adresse erkoren. Stahlträger, Ziegelwände und 10 Meter hohe Decken kokettieren mit einer fast schon filigran wirkenden gläsernen Küche, einsehbar für alle Gäste. Statt heißen Stahlfeuern lodern die Pfannen, dampfen die Töpfe, doch kaum ein Geräusch ist zu vernehmen. Alle sieben Mann arbeiten routiniert und leise wie ein Uhrwerk. Chef ist Olly Ceulenaere, ein Foodie-Mitglied, jene Gruppe, die schon vor der Ära der jungen Wilden auf Top-Produkte und Top-Qualität setzte und es zugleich schaffte, Gourmets in Ekstase zu versetzen. Ollys breites Lachen ist ansteckend, er lässt seine wasserblauen Augen blitzen wie Opale. „Ich habe richtig Spaß an dem, was ich mache.“ Das ist Antrieb und Philosophie zugleich. Gute Produkte sucht und verwendet er, soviel wie möglich aus der Region, was schon die erste Vorspeise bekräftigt: Austern aus Grevelingen an der niederländischen Küste in Liaison mit hauchdünnen Radieschenscheiben. Der Meeresfrische folgt Leichtes – Frischkäse mit Pfifferlingen und Pampelmuse – sowie Erdiges in Form von halbfestem Eidotter mit Spinat, exzellent angerichtet auf einem hauchzarten Kräuterspiegel. Das Hauptgericht Hase „Royale“. Der Name sagt alles.