von foodhunter
Kategorie: Weine & Destillate

Weinernte am Bodensee – erst wimmeln, dann genießen

Weinernte am Bodensee – erst wimmeln, dann genießen

Wären Weindegustationen ein Schulfach, hätte ich das Ziel der oberen Klassen nie erreicht. Die dabei zur Sprache kommenden Empfindungen waren mir ein nicht zu lösendes Rätsel. Meine Zunge nahm weder „Sattelleder an ihrer Spitze” wahr, noch schmeckte ich „Haschisch im Abgang”. Weinverkostungen waren bei mir also wirkungslos wie eine Fliegenpatsche gegen Pockenviren. Dann reiste ich nach Hagnau am Bodensee und half bei der Weinernte. 

 

Aurorin Karin Lochner, Fotos © Peter von Felbert    

 

Die Bodensee-Anrainer haben beim Wettergott einen Joker gezogen, denn im Spätsommer gibt der See die gespeicherte Sommersonne großzügig ab und die lange Vegetationszeit verleiht unzählige feine Aromastoffe.

Bodenseeweine sind im Vergleich zu denen anderer Anbaugebiete fruchtiger und leichter.

Sie passen zur Uferlandschaft – und zu Anita Schmidt. Die trägt ein taubenblaues Dirndl, das feenhaft im Wind raschelt. Bevor ich, ausgerüstet mit einer scharfen Schere, in den familieneigenen Weinberg gelassen werde, besuche ich eine Weinprobe. „Zur Vorbereitung“, wie Anita sagt.

Ich fürchte, wie so oft, Teilnehmer, die mit dem Kopf nicken wie Wackeldackel auf der Hutablage oder mit dem Mund Geräusche machen wie in einer Reklame für Mundwasser. Dazu kommt es aber nicht.

Anita erzählt vom Leben als Winzertochter. Wie sie und ihre Geschwister früher unter den Augen der Eltern saubere Gummistiefel anzogen, um die Trauben zu zerstampfen. Heute wissen die Weinbauern, dass die Gummistiefel-Massage dem Wein wegen der vorzeitig einsetzenden Oxidation des Traubengutes nicht gut tut. Jetzt werden die Trauben so wenig verletzt wie möglich abgeliefert.

Ich lerne, dass die Verwitterungsböden am Bodensee in Deutschland einmalig sind. Der Moränenschotter stammt aus der Eiszeit.

Das ist der zweite Trumpf neben dem Seeklima. Die Bodenseeweine sind eine trinkbare Fibel für Weinanfänger wie mich, aber auch eine Schatzkiste für Profis.

Anita, die einmal  badische Weinkönigin war, erzählt, wie aufregend die internationale Ausbildung zur Sommelière in London war. Und, dass das Weinanbaugebiet Bodensee mit kleiner Fläche – gut 1.000 Hektar – nicht zu den großen deutschen Anbaugebieten, jedoch zu jenen mit herausragenden Eigenschaften zählt. Von den preisgekrönten Hagnauer Weinen seien sogar ihre Mitstudierenden in London beeindruckt gewesen. Mit jedem Schluck vom Spätburgunder Weißherbst spüre auch ich jetzt den Wellenschlag des Wassers und die frische Brise des Sees im Abgang.

 

Herbst ist Hochsaison wegen der Weinlese, die hier nicht Lese heißt, sondern Wimmeln

 

Hagnau ist Anita Schmidts Heimatdorf. Herbst ist Hochsaison wegen der Weinlese, die hier nicht Lese heißt, sondern Wimmeln. Die Hagnauer begründen den Ausdruck so: Im Weinberg wimmelt es in der Lese von Leuten. Auch ich  stürze mich in die Arbeit wie eine Musterschülerin. Schneide reife Trauben, sammle sie in einem Eimer und leere den in ein Fass, das am Ende der Rebzeile auf einem kleinen Traktor wartet wie ein gefräßiges Ungeheuer. Manche Trauben haben Edelfäule angesetzt. Nicht ansehnlich, aber wenn ich sie in den Eimer fallen lasse, steigt nach einem platschenden Geräusch der Duft von Rosenwasser und Marzipan in meine Nase.

Wimmeln ist Höchstleistung. Und doch sind nur Lachen und freundliche Worte zu hören. Im Weinberg wuselt es tagsüber wie in einem Bienenstock. Abends liegt die Geschäftigkeit in den Dorfgassen wie eine Verheißung, denn abends gibt es Wein auf der Terrasse. Unten im Dorf am Seeufer funkelt es wie von dahin geworfenen Lichterketten. Wenn Wilfried, Anita oder ihre Eltern sagen: „O, der isch fordernd, jung, a bissle spätpubertär, der braucht no Zeit zum Reifen“,  sehe ich sie vor meinem inneren Auge in den Rebzeilen werkeln.

Vielleicht verwenden sie ähnliche Worte wie Weinjournalisten, dennoch klingt es anders, liebevoll, als sprächen sie von Kindern. Anita reicht ein letztes Glas Müller-Thurgau. Ich schmecke das Ungestüme und Kitzelige im Mund, die Kräuter, die milde Säure und das feinfruchtige Muskataroma. Und kann es gar nicht erwarten, den kommenden Jahrgang zu verkosten. Den Jahrgang, bei dem ich mithelfen durfte.

 

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