von foodhunter
Kategorie: Esskultur

Das Landei in der Sterneküche

Das Landei in der Sterneküche

 

Fünf Minuten zum Frühstück gekocht, mit Speck zusammen gerührt oder einfach in die Pfanne gehauen. Das war gestern. 

 

Das Hühnerei steigt zur kulinarischen Superzutat auf. Frittiert, gedämpft, pochiert, pulverisiert, mit Hummerschaum, Goldstaub oder Essigessenz. Foodhunter-Autor Oliver Zelt hat in den Spitzenküchen das “Gelbe vom Ei” entdeckt. 

 

Autor Oliver Zelt,
Foto oben fotolia ©Tomnamom

 

Christian Lohse staunte nicht schlecht. Konnte diese Japanerin zaubern? Die Frau, die für das Frühstück im Berliner Hotel „Regent“ zuständig ist pulte direkt aus der Schale ein perfekt pochiertes Ei. Ein wunderbar fluffiges Weiß und ein noch viel samtenes Gelb.

„Ich habe zehn Eier geschält“, erzählt Lohse, „eins wie das andere erstklassig und unglaublich lecker“. Diesen kulinarischen Clou, so viel war an diesem Morgen klar, musste der Koch auf seiner Speisekarte anbieten. Es ist ja auch eine schöne Geschichte, die hinter diesem „Onsen-Ei“-Küchenkick steckt.

 

Die Geschichte vom Onsen-Ei  

 

Die Japaner nehmen zum Bad in den heißen Schwefelquellen rohe Eier mit. Wenn Seele und Statur nach etwa einer Stunde gereinigt sind, ist auch der Snack fertig.

Ein ganz besonderer, den zuerst die Physik bereitet. Eigelb gerinnt bei 68 Grad und ist, falls die Temperatur nicht höher steigt, dann wunderbar cremig.

Das Eiklar dagegen stockt erst ab 75 Grad richtig fest. Die Japaner schlagen, gerade aus der Thermalquelle (Onsen) gestiegen, die Schale auf und pulen das goldene Gelb vorsichtig aus dem weißen Gallert heraus.

 

©foodhunter

 

Lohse legt in seiner Küche die Eier in einem Kombi-Dampfofen, der die Temperatur stets auf ein Zehntelgrad hält, und gart sie bei 62 Grad genau 42 Minuten. Die abgekühlten Eier wälzt er kurz in japanischem Paniermehl und frittiert sie bei 180 Grad. Seine Version des fernöstlichen Originals.

Derzeit kredenzt er das Onsen Ei mit Blumenkohl.Mousseline, Kalbszungen-Salat und Schnittlauch-Sauce. Aber die „Spielwiese ist unbegrenzt“ und lässt auch Steinpilze, Hummersauce oder Basilikumschaum als Sparringspartner zu.

 

In Frankreich müssen werdende Top-Köche 30 verschiedene Eier-Gerichte zubereiten, damit sie die Prüfung bestehen.

 

Der neue Star in der Sterneküche ist das Ei.

 

Landauf, landab tafeln Gourmets nun gerne ein schlichtes Ei, vor allem wenn es gar nicht schlicht zubereitet ist.

Spitzenköche garen das Bio-Landei bei Niedrig-Temperatur eine Stunde, um dann wachsweich ihren Gästen ein „Ah“ und „Oh“ zu entlocken. Das Eierkochen ist Experiment und Erlebnis.

 

Köche überbieten sich dabei im kulinarischen Zauber. Sie lassen das Gelb in Zuckerlösung langsam perfekt durchziehen, tropfen wie im Labor mit der Pipette einige Tropfen Essig direkt ins Dotter, damit es märchenhaft cremig auf den Tisch kommt. Andere zerlegen das Ei, pulverisieren es zuerst und bauen es anschließend wieder zusammen oder frieren es schlicht ein.

 

 

Der exzessive Eierkult ist ein europäischer Hype. Der Engländer Heston Blumenthal, berühmt dafür Banales als Luxus erscheinen zu lassen, bietet statt fettigem „Ham & Eggs“ eine Eiscreme aus Schinken und Ei an. Kühl und gekonnt. Wie sein Rührei-Speck-Eis, das auf lauwarmen, karamellisierten Briochewürfeln liegt.

 

In Südtirol köpft Alexander Fankhauser vorsichtig rohe Eier, trennt Dotter und Eiweiß und sterilisiert die Schalen kurz im Backofen. Dann nimmt er Olivenöl, pinselt das dünne Gehäuse ein und wälzt es in echtem Goldstaub. Das halbe goldene Ei setzt er in einen Teller mit Mulde und füllt es mit Speck, Trüffeln und dem nur leicht erwärmten Eigelb. René Redzepi brachte es sogar fertig, seine Gäste für ihn arbeiten zu lassen. Im „Noma“ in Kopenhagen, jahrelang bestes Restaurant der Welt, trägt der Service Entenei, Heuöl, Kräuter, eine Pfanne und einen Kurzzeitwecker auf und bittet, sich doch selbst ein wohlschmeckendes Spiegelei zu braten.

 

Es geht nicht mehr um das perfekte 5-Minuten Ei. Mit Talent und Technik wird das schlichte Hühnerei von der schmucklosen Sättigungsimbiss zum Gourmet-Dotter. Mit fröhlichem Gegacker von einer glücklichen Henne in den frühen Morgenstunden gelegt, möglichst zu Mittag auf dem Tisch. Das Ei hat in der Spitzengastronomie nicht nur zu Ostern den Aufstieg aus dem Alltäglichen geschafft hat. Fast scheint es so, der alte Werbespruch aus DDR-Zeiten „Nimm ein Ei mehr“ könnte jetzt wie neu erdacht auf den Speisekarten stehen. Vergessen scheinen die ärztlichen Diskussionen, ob viele Eier einen höheren Cholesterinspiegel bewirken. Die Deutschen essen im Durchschnitt 217 Eier pro Jahr. 

 

Auf der Nordseeinsel Sylt nimmt Zwei-Sternekoch Johannes King in seiner Küche gerne ein Ei mehr. Die liefert ihm der „Hansenhof“ aus Morsum, wo Lohmann-Hühner jeden Tag in frischer Meeresbrise auf der Wiese picken. Um die Ecke gibt es einen Bauern, der in einem XXL-Briefkasten stets 6er und 10er Packungen frische Eier liegen hat. „Da kann ich Samstagnacht um halb eins hinfahren“, lacht King, den die Eierpost schon manchmal gerettet hat.

 

King denkt mit seinen Kreationen einen Schritt voraus und erinnert zugleich gerne an früher. Nichts spricht gegen „Soleier”. Ein Muss auf den meisten Gasthaustheken der 60’er und 70’er Jahre. Da bleibt King Traditionalist und sticht die hartgekochten Eier an und legt sie zum Durchziehen in einen mit Senfkörnern, Lorbeerblatt und Piment gewürzten Sud aus Wasser, Wein, Essig, Zucker und Salz. Selbstverständlich Sylter Meersalz.

 

Ei mit Trueffel

 

Das Ei liegt – umgeben von Aalwürfeln – mitten im Kartoffelpüreekrater und ist so Mittelpunkt des Gerichts. Was für eine Karriere.

 

Im „Söl’ring Hof“ kommen die hartgekochten Eier nach zwölf Minuten vom Herd, werden abgeschreckt, um bei akkuraten 63 Grad auf die Sekunde genau 70 Minuten zu garen. Danach wird es gepellt und mit einem Löffel vorsichtig in die Mulde eines Aal-Kartoffelstampfs gelegt und mit Brotchips, frittierten Aalhautstreifen, geräucherten Aalwürfeln und einer Vinaigrette aus dicken Bohnen garniert. Das Ei ist Mittelpunkt des Gerichts – was für eine Karriere.

 

In Berlin gart Stephan Garkisch die Eier bei gleichbleibenden 64 Grad etwa eine Stunde im Wasserbad und pochiert sie dann in Essigwasser.

 

Die Eier haben „eine völlig runde Form, man sieht ganz klar das Eigelb und drumherum wie ein Rahmen das weiße“, schwärmt der Koch. „Das ist unmöglich für einen Laien“ sagt er. Für diese Kunst gehen die Gäste in den „Biberbau“. Weil sie zu Hause zwar, wie es jedes Rezept vorschlägt, mit der Kelle ein Ei in den Essigwasserstrudel des Topfes gleiten lassen können, dann aber ein ziemlich ausgefranstes Ei auf den Teller hieven.

Garkisch serviert in seinem Restaurant wahlweise ein „pochiertes Barnimer Landei in püriertem Zuckermais mit Vogelmiere, halbierten Möhren und schwarzer Mohnsaat“ oder ein „Ei mit Erbsenpüree und einem Fumet aus Zwiebeln und Essig“.

Ein Bauer aus Prenden, nördlich von Berlin, liefert dem Küchenchef schon ewig „perfekte Eier“. Stephan Garkisch hat eine neue Idee. Er will die Landeier aus Brandenburg nach dem Garen nun kurz räuchern, dann in einem Mehl aus Brotkruste wenden und sie kurz frittieren.

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