Ein Blick in den relativ leeren Kühlschrank lässt keine klare Idee für das kommende Mahl aufkeimen. Ein paar Gemüse, ein bisschen Käse. Wir machen, was wir in diesem Fall immer tun, schälen zwei Zwiebeln, schneiden sie in dünne Scheiben, dünsten sie in Butter. Eine zerdrückte Knoblauchzehe kommt dazu. Der Duft setzt Gaumenfantasien frei. Nichts lässt Kochfreude schneller ins Gehirn sausen, als der Duft sich leicht bräunlich färbender Zwiebeln.
Kolumne von Sabine Ruhland
Foto © Allan Lau, Pixaby
Nun beginnt die wahre Freude, denn das Aroma lässt den Appetit reifen. Reis oder Nudeln? Vegetarisch oder mit Speck? Mediterran oder asiatisch? In welche geschmackliche Richtung soll es gehen, was ist in den Vorratsschränken noch vorhanden? Kreativität. Vorfreude. Genuss. Alles in einer Pfanne. So einfach wäre das.
Glück, Freiheit, Freude, Harmonie, Liebe, Heimat.
Der Marketingtrick mit dem verlorenen Lebensgefühl.
Was für uns die Zwiebel, ist für andere der Griff ins Convenience-Regal. Jeden Tag neue Trends, jeden Tag eine Schwemme neuer Waren, neues Superfood und Food to go, Innovation eher selten, die Verpackung macht das Rennen. Krakelschriften und Fangworte wie Glück, Freiheit, Freude, Liebe, Harmonie. Damit verkauft sich heute alles. Was das Leben nicht bietet, müssen Marketingprofis erschaffen. Am Ende landen Unmengen plastikummantelter Produkte auf dem Kassenband und Nonsens wie billige Keksteige zum Löffeln oder Plastikflaschen mit Duftringen, die dem Gehirn Geschmack vorgaukeln. Allesamt Verkaufsschlager, verspricht der Inhalt doch ein erfülltes, stylisches Leben. Von dem sind wir allerdings inzwischen weit entfernt.
Unsere artifizielle Welt zwischen Silikon Valley, Inkubatoren und Second Life-Games sieht Innovation ausschließlich im technischen Bereich.
„Die Welt verhungert gerade an echten Innovationen, die die entscheidenden menschlichen Probleme lösen könnten”, schrieb vor Jahren der Schriftsteller Neal Stephanson. Die spirituelle Ebene, die uns Menschen auszeichnet, die uns Schönheit und Wertebewusstsein, Sozialverhalten und Naturliebe spüren lässt, wird durch Algorithmen ersetzt. So schließt sich der Kreis.
Statt glücklich zu leben, wird Glück einfach konsumiert, handlich abgepackt. Der Kick währt kurz, oft nur einen Kassenklingelton lang, dann muss Neues her. Nie war unsere Konsumgier größer, nie unsere Müllberge höher, nie die Zerstörung der Welt rasanter, nie unser Miteinander unverschämter.Das alles hat auch – und vor allem – mit Essen zu tun.
Was ist das für eine Kultur, die Baugrund wertschätzt, einen Acker hingegen nicht?
Wir haben unsere Esskultur verloren und damit auch unsere Werte. Weil Essen Kultur bedeutet. Was ist das für eine Kultur, die einer Plastikschale entspringt? Aufgerissen, aufgetaut, aufgebacken, aufgetischt. Lieblos, fantasielos, freudlos und geschmacklos. Was ist das für eine Kultur, die Baugrund wertschätzt, einen Acker hingegen nicht, obwohl er uns ernährt, die Industrieware als Essen favorisiert, kräftig subventioniert von Politikern ohne Bodenhaftung.
Der Zwiebelduft hat inzwischen seinen Zweck erfüllt. Vegetarisch soll es werden! Also zwei Möhren, ein halber Sellerie, ein Stück Pastinake, einige Schwarzkohlblätter, alles klein geschnitten, dazugeben. Flamme runter, dünsten. Reis aufsetzen. Wir entdecken ein Glas Acuka, scharfer Brotaufstrich vom Türken. Zwei Esslöffel davon zum Gemüse, ein Schuss Wasser dazu. Köcheln lassen. Am Ende den fertigen Reis unterrühren. Abschmecken. Etwas Chili, etwas Limette. Die beste Freundin kommt spontan vorbei. „Hmmm, hier riecht es aber gut!” – Gut, dass unser Reste-Essen für drei reicht.