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„EU-Käse“ – Interview mit Bronwen Percival von Neal’s Yard Dairy

"EU-Käse" – Interview mit Bronwen Percival von Neal’s Yard Dairy

London, meine neue Heimat und die Stadt, die allen Nationen ein Zuhause ist. Was auch passiert in der Welt, ich kriege es mit. So auch die Nachricht, dass Brüssel von der römischen Regierung verlangt, die Vorschriften bei der Käseherstellung zu ändern. Selbst in Bella Italia solle künftig erlaubt werden, was große Lebensmittelkonzerne wollen und in vielen EU-Ländern bereits dürfen: Käse industriell unter Einsatz von Trocken- und Kondensmilch herzustellen.  

Autor Carola Kühnl, Foto Carola Kühnl

Ganz Italien ist sauer, vermutlich die Milch gleich mit, die man ohnehin nicht mehr braucht. Ein echter Parmigiano, Mozzarella di Bufala, Gorgonzola … all das sind die Aushängeschilder eines Landes, in dem Slow-Food seinen Anfang nahm. Italienische Käseklassiker liegen auch bei uns, bei Neal’s Yard Dairy, auf dem Tresen. Wir haben mit Bronwen Percival, Käseeinkäuferin bei Neal’s Yard, gesprochen.

Bronwen, siehst du in dieser Vorschriften-Änderung auch eine Gefahr für britische und irische Käse?

„Es ist offensichtlich, was Industriekäse und was handwerklicher Käse ist. Der Kunde hat die Entscheidungsfreiheit. Industrie und Handwerk hat es beides schon immer nebeneinander gegeben. Würde es keine laborgefertigte Ware geben, könnten wir das Echte nicht schätzen.
Viel mehr zu denken gibt mir die Legalisierung, bei handgemachten Käse „Starterkulturen“ zu verwenden, die nicht mal angegeben werden müssen. Um Käse herzustellen, muss die Milch in eine Quark- und eine Molkemasse getrennt werden. In der Regel geschieht das durch Lab, aber da unsere Milch mittlerweile zu sauber ist und fast keine gesunden Bakterien mehr enthält, müssen künstliche hinzugefügt werden. Das sind in der Regel gefriergetrocknete Pakete, die aus irgendeinem Labor stammen, die man für die unterschiedlichsten Käse bestellen kann. Man könnte sich selbst auch diese Starter mit viel Aufwand ziehen. Die Pakete sind bequem, in ihnen steckt ein riesiger Markt. Ein weiterer Nachteil ist, dass die Käse ihren eigenen Geschmack verlieren, die Aromen werden standardisiert. Auf der Slow-Cheese im italienischen Bra wurde darüber viel diskutiert, wie man sich dagegen wehren kann. Die Geschichte der Starterkulturen ist auch innerhalb von Fachkreisen noch Neuland.

GUT ZU WISSEN
Starterkulturen sind spezielle, aufgrund spezifischer Eigenschaften selektierte, vermehrungsfähige Mikroorganismen, die bei fermentativen Prozessen der Lebensmittelherstellung verwendet werden und dazu dienen, Aussehen, Geschmack oder Haltbarkeit des Nahrungsmittels zu verbessern

 

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Bronwen Percival, Käse-Einkäuferin für London’s berühmtesten Kädeladen: Neal’s Yard Dairy

Der Milchpreis ist niedrig, viele Bauern geben auf. Macht dann nur noch die Industrie „Käse“?

Bauernstand hat Zukunft, wenn die Landwirte lernen, aus ihrem Produkt etwas Besonderes zu machen. Etwas, was die Industrie nicht kann. Alleine mit der Produktion von Milch überlebt man kaum. Umdenken und flexibel sein, dass ist wichtig, um die Familie auf Dauer ernähren zu können.
Jeder Bauer ist auf seine Weise ein Unikat durch seine Milch, jeder Hof hat einen eigenen Geschmack. Mit der Herstellung von Käse, Butter, Joghurt kann man sich von der Masse abheben und eine Marktlücke abdecken. Die Bauern müssen aus ihrem vermeintlichen Nachteil einen Vorteil sehen und sich den zu Nutze machen. Viele Höfe haben in den vergangenen Jahren mit dem Käsemachen angefangen. Die nachwachsende Generation sieht im Handwerk wieder Zukunft.

Wie findest du die Bauern, die für dich produzieren?

Sie fragen bei uns nach, ob wir sie bei der Käseherstellung begleiten. Eine interessante Herausforderung. Oft ist das erste Mal Käsen ein Erfolg und das Resultat landet bei uns auf dem Tresen. Wir probieren gemeinsam mit dem Kunden und sammeln deren Feedback. Was auf Dauer nachgefragt wird, bleibt auch auf Dauer im Bestand. Wir als Neal’s Yard sind in der glücklichen Position, dass uns viele um Rat beim Käsemachen fragen. Wir lernen aber auch auf jedem Hof dazu.

(Und ich dachte immer, die Käsereien bei uns im Geschäft sind schon jahrelang im Geschäft. Dass es sich teilweise um Erstklässler handelt, macht die Sache noch reizvoller. Die Kunden sehen heute nicht mehr, wie Lebensmittel erzeugt werden, was dahintersteckt, wer? wo? Sie sehen „nur“ das fertige Produkt, nicht aber die Entstehung. Wir als Händler geben dem Produkt ein Gesicht und machen es lebendig.)

Wie wird man Fachfrau im Einkauf von Käse, der ständig im Geschmack variiert?

Indem man versucht, den natürlichen Geschmack zu kennen. Das erfordert eine tägliche Gaumenschulung, ein bewusstes Schmecken dessen, was man isst. Mit dem Stichelton fing es an… 2005 habe ich bei Neal’s Yard Dairy Käse verkauft, unter anderem auch klassischen Stilton. Zu der Zeit war Randolph Hodgson, der Betriebsinhaber, wie besessen von der Idee, einen Stilton aus Rohmilch herzustellen. Laut Gesetz darf bis heute nur pasteurisierter Milch verwendet werden.
Es fand sich aber eine Farm, die passende Methode gleich dazu und selbst der Kunde Geschmack an dem neuen Rohmilchprodukt, das an Tiefe, Länge im Geschmack und an seiner Cremigkeit nicht zu toppen war. Ich war bei der Herstellung von „Stichelton“ hautnah dabei und konnte Unterschiede zwischen Rohmilch und pasteurisierter Milch herausschmecken. Nach und nach habe ich einen guten Draht zu den Farmern aufgebaut und ihr Produkt dadurch besser verstanden. Randolph bot mir an, gute und traditionelle Käse für seine Geschäfte ausfindig zu machen und engagierte Bauern zu unterstützen.

Was treibt dich an?

Den Menschen zu zeigen, was Käse eigentlich ist. Unsere Ernährung und die Art und Weise hat sich in den vergangenen Jahren stark gewandelt: aus ethischen Gründen, aus gesundheitlichen Aspekten oder aufgrund von Lebensweisen. Ob jemand vegan ist, Vorurteile hat oder generell denkt, dass Käse nur eines kann, nämlich stinken, ist in Ordnung. Ich will niemanden bekehren, ich will nur mit meiner Aufklärungsarbeit und meinem Wissen über Käse versuchen, den Menschen an echten, guten Geschmack heranzuführen. Der fängt bei der Haltung der Tiere im Stall an, hört aber keineswegs bei der Laune des Farmers auf. Selbst muss man Freude daran haben, Unterschiede auf der Zunge zu spüren. Mein Job gibt mir das Gefühl, Bauern in ihrer Existenz zu unterstützen und England durch die Käse besonders zu machen. Es ist die Erhaltung einer Tradition, die des Käsemachens.

www.nealsyarddairy.co.uk

 

 

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