von foodhunter
Kategorie: Regional & Delikat

Filetstück: Sardine statt Seeteufel.

Filetstück: Sardine statt Seeteufel.
Sardine

Sascha Ludwig ist ein Mann für die Sauarbeit. Es spritzt zwar weder im hohen Bogen Blut noch muss er mit dem Ausbeinmesser ran, wenn er die glänzenden Sardinen säubert. Aber die wenigen Schuppen auf den silbernen Fischrücken nerven. Übersieht Ludwig nur ein einziges der winzigen harten Plättchen, ist das so schlimm wie das Haar in der Suppe.

 

Autor Oliver Zelt,
Fotos ©foodhunter

 

„Die klitzekleinen Seitengräten machen wir  raus“, sagt der Koch, „aber eigentlich könnten sie mitgegessen werden.“ Gräten mitessen? Das sagt ausgerechnet der Mann, der als kleines Kind eine Forellengräte verschluckte, die erst ein Arzt aus dem Hals holen konnte.

In seinem Restaurant „Filetstück“ sind die Sardinen garantiert grätenfrei und brauchen nicht viel für einen großen Auftritt. Pfanne, Olivenöl und kleine Olivetti-Tomaten. Die zarte Sardine legt Ludwig in 45 Grad warmes Olivenöl und confiert sie darin höchstens fünf Minuten. Der so schonend gegarte Fisch bekommt als Begleiter weiche Kerne aus kleinen Olivetti-Tomaten, die nicht viel größer sind als Oliven. Die haben einen „wunderbaren Geschmack, voll nach Sonne“, schwärmt Ludwig.

Ebenso begeistert schneidet er in seiner Küche ein feines Tatar: das wenige Zentimeter lange Filet der Sardine wird erst in Streifen und dann in Würfeln geschnitten die „man noch beißen kann“. Dazu etwas Salz, Pfeffer, einen Spritzer Olivenöl und ein paar Flocken Zitronenabrieb.So einfach gelingt es, in einem Berliner Restaurant zu sitzen und trotzdem zu glauben, es könnte auch an der Atlantikküste sein. Die Sardine sei „ein intensiver Fisch“ und „schmeckt herrlich nach Meer“.

 

Ein Arme-Leute-Essen wird salonfähig

 

Fisch mit Fleisch, das ist oft ein gewagtes Duo. Es gibt aber Fische, die „schreien nach dieser Kombination“. Die Sardine besonders hörbar. Sascha Ludwig nimmt ein drei Wochen gereiftes „dry aged“ Kalbsfilet, schneidet es sehr klein, würzt mit Salz, Pfeffer, Eigelb, „einem My Senf“ und setzt das Rindermett locker in einen Metallring. Mit dem Bunsenbrenner „wird es oben leicht abgebrannt“. Als silberne Krone drapiert Ludwig ein gegartes Sardinenfilet.

Aus den Arme-Leute-Fischen mit den vielen Gräten hat die moderne Küche ein feines Essen gemacht. Die Sardinen sind nicht nur außerhalb der Dose fast so etwas wie eine Lieblingszutat der Spitzenköche geworden. Da können selbst diejenigen kaum widerstehen, die sonst bei jeder noch so kleinen Gräte, die sie im Fisch vermuten, lieber das Fleischgericht wählen. Oder zu Hause den kleinen Fisch unter einer dicken Panade verschwinden lassen und ihn dann so lange auf dem Grill oder in der Pfanne braten bis er als leicht verkohlter Chip neben einem Blatt Salat auf dem Teller landet.

 

Sardine
Foto 123rf ©martinak

 

Geradezu aus dem Häuschen sind Gourmets mittlerweile, wenn die deutsche Kochlegende Dieter Müller zur geräucherten Gänseleber eine Jahrgangs-Sardine reicht. Oder Christian Jürgens in seinem 3-Sternerestaurant Überfahrt einfach die geöffnete Sardinenbüchse auf einen weißen Teller stellt und dazu ein kurz über dem Kohlengrill geröstetes Weißbrot legt.

 

Michael Kempf bietet im Berliner 2-Sterne-Restaurant Facil eine Sardine mit Boskop und Limetten-Kapernmarmelade. Der Hamburger Christoph Rüffer, ebenfalls mit zwei Sternen dekoriert, macht im Restaurant Haerlin die „oft unterschätzte Sardine mit weißen Blüten, Tomaten-Potpourri, würziger Kräutercreme samt geeistem Estragon zu einem ungeahnt frischen und leichten Vergnügen“, schwärmen die Kritiker vom „Gault Millau“.

 

In der deutschen Spitzengastronomie geschieht Ungeheuerliches. Der Service serviert eine schlichte Konservendose und alle klatschen Beifall. Ölsardinen, die früher als passable Grundlage für ausgedehnte Kneipenabende galten, sind mit Jahrgangsstempel tatsächlich etwas sehr Edles.

Nicht unbedingt, weil bestimmte Fang-Jahrgänge so herausragend sind, sondern weil Fischer die Sardinen so zart behandeln. Meist im September im Atlantik gefangen, weil sie dann besonders fett und so wunderbar aromatisch sind, liegen sie schon an Bord ohne Schuppen luftig drapiert in den Büchsen. Damit sehr viel des hochwertigen Olivenöls das feine Fischfleisch durchdringt und es mürbe macht. Mindestens fünf Jahre sollten die Sardinen dann reifen, damit sie die Reife als Feinschmecker-Delikatesse bekommen. Dafür ist es wichtig, den Sardinen-Jahrgang zu kennen.

Was in den besten französischen Bistros und spanischen Bodegas schon lange die Gaumen verwöhnt, zieht nun in die besten deutschen Restaurants ein. Ein Solo für die Sardine. In Berlin können Genießer beim Feinkosthändler „Maitre Philippe“ die saftigen Sardinen in der Dose schon ab fünf Euro kaufen. Fehlt dann nur noch das frische Baguette dazu.

 

Jahrgangssardine Foto foodhunter
Foto foodhunter

 

 

Schluss mit Knastforelle! Der große Bruder Hering will auch!

 

Selbst der große Bruder der Sardine, der Hering macht Karriere in der Welt des hohen Genusses. Der Fisch, der südlich von Ost- und Nordsee eigentlich nur als Katzenfutter Karriere gemacht hat und die wenig schmeichelhaften Spitznamen als Beamtenlachs oder Knastforelle trägt, ist für viele überraschend delikat.

Sternekoch Ralf Haug scheint mit seiner Kombination aus Hering, Apfel und Zwiebel zunächst die klassische gutbürgerliche Küche loben zu wollen. Weil Haug in seinem Lokal „Freustil“ in Binz aber Bewährtes zu bequem findet, bleibt er zwar bei Fisch, Gemüse und Obst, arrangiert sie aber anders. Satt kleiner Schnitze rührt er einen fluffigen Apfelschaum zusammen, sticht aus einem gelierten Zwiebelbrei kleine Ringe aus und mariniert die Heringsstücke in weißem Portwein, Lorbeer Nelke und Gemüsefond. Dazu setzt er einen Klacks geeisten Sauerrahm.

 

Traditionell reiften Heringe in großen Holzfässern heran, deftig eingesalzten, und zogen frisch gebraten, in einem sauren Sud zu einem leckeren Brathering durch. «Das machten die Generation vor uns, weil es Sinn macht,weil die dünnen und langen Gräten dann im Mund fast nicht mehr zu merken sind», wie Tillmann Hahn erzählt.

 

Hahn, der schon in zwei Restaurants Sterne erkochte, serviert jetzt in der „Villa Astoria“ in Kühlungsborn seine regionalen Gerichte. Auch Heringe. Klar mag er grüne Heringe, frisch im Ganzen gebraten. Aber der Anspruch der Spitzengastronomie ist ein anderer. Etwa einen hohlen Hering zu füllen. Das ist Arbeit für Profis und bleibt eine Herausforderung für ambitionierte Hobbyköche. Hahn löst mit einem scharfen Messer die Filets entlang der Rückenlinie von der Hauptgräte, schneidet sie vorne und hinten aber nicht ab. Mit einer Schere schneidet er nun die freigelegte Mittelgräte knapp hinter dem Kopf und kurz vor dem Schwanz ab, nimmt sie heraus. Bevor er mit einer Pinzette vorsichtig die restlichen Gräten herauszieht. Ab jetzt wird es einfacher. Butter zerlassen, Schalottenwürfel hinein, warten bis die glasig sind, Rucola dazu und zum Schluss mit Rosinen und Mandelstiften verfeinern. Hahn hat noch einen Trick für einen Hauch Knoblauch. Der Koch steckt eine ganze Zehe auf eine Gabel und rührt damit zwei-dreimal durch die Mischung. In die abgekühlte Fischfüllung kommen noch Eigelb und Semmelbrösel.

Wer bislang Hering nur als puren Matjes oder in Tomatensauce aus der Dose kannte, der staunt über die grünen Gemüseinnereien. Doch der schlanke Fisch verträgt noch mehr. Tillmann Hahn serviert marzipanzarte Matjesfilets in ungewöhnlichen Kombinationen mit drei Saucen. Die „Grüne Hölle“, ein Mix aus grünen Chilischoten, Avocado und allerlei Kräutern hat ordentlich Schärfe. Die „Rote Zora“ aus Paprikaschoten, Creme fraiche, geräuchertem Paprikapulver und Soja-Soße eine asiatische Note und „Bootsmanns Art“ mit getrockneten Feigen, Rotwein, Rum sowie eingelegten Sardellen den Wumms weites Meer.Der Hering scheint keine Tabus zu kennen. Weil er so fett ist hat er einen „intensiven Geschmack“, sagt Tillmann Hahn und schon beim Braten in der Pfanne rieche man sein Aroma.

 

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