Foodpairing : Schwarze Bohnen, Quark, Essig und Olivenöl zum Dessert.

Foodpairing : Schwarze Bohnen, Quark, Essig und Olivenöl zum Dessert.

Stephan Garkisch serviert geliertes Rhabarbersüppchen mit Oliven- und Zitronenstückchen, Vanilleeis und grasgrünem Estragongranité oder Meerrettichsorbet mit Birne und Dörrfrüchten. Rolf Caviezel kombiniert Gurkenscheiben, die er in Vanilleöl mariniert hat, mit einem Mus aus schwarzen Bohnen, Quark, Essig und Olivenöl. Und bei Christian Hümbs gibt es Speck als luftigen Schaum, Limette als Mousse-Tropfen und geräucherte Mini-Baisers. Foodpairing macht’s möglich. 

 

Autor Oliver Zelt

 

Patissiere, von ihren Küchenkollegen gelegentlich spöttisch Puddingrührer genannt, sind auf dem Weg selbst Patrone im Restaurant zu werden. Einer der Stars der deutschen Süßspeisenszene ist Christian Hümbs.

Der Mann, der gerade von einem Sylter Hotel ins Hamburger Zwei-Sternerestaurant „Haerlin“ gewechselt ist, verführt mit gleich mit einem mehrgängigen Dessertmenü, das er lieber Aromenmenü nennt. Lauter Nachspeisen ist etwas ganz Neues. Daran müssen sich Gäste wohl erst einmal gewöhnen und sich entscheiden, ob sie „Bravo“ rufen oder die Stirn runzeln. „Die einzelnen Kompositionen sollen zusammen einen Sinn ergeben“, sagt Hümbs. Und hofft darauf, dass seine Gäste den auch erkennen. „Ich spiele mit Erwartungen“, lacht Hümbs, und weiß, bei bestimmten Zutatenkombinationen „ baut sich etwas im Kopf zusammen, das im Mund ganz anders ist“.

 

Haerlin Hamburg

“Desserts sollen beschwingt und nicht beschwerlich sein.” Christian Hümbs wechselte vom A-Rosa Sylt ins 2-Sterne-Restaurant Haerlin nach Hamburg.

 

Fast ironisch nennt der Küchenmeister einen Gang „Verwirrung“. Und irritiert tatsächlich die Sinne, um kurz darauf auf der Zunge zu überraschen. Der Speck sieht gar nicht speckig aus, sondern ist heller, luftiger Schaum, die Kokosnuss cremiges Eis und die Limette versteckt sich in fluffigen weißen Mousse-Tropfen. Wer sich jetzt noch nicht genug gewundert hat, staunt spätestens, wenn er in die knusprigen Mini-Baisers beißt. Die kleinen Schaumtörtchen hat Hümbs geräuchert.
Es macht dem Norddeutschen Spaß, Gemüse und Kräuter umzubauen, aus der Petersilie das Chlorophyll rauszuziehen und damit „etwas anderes grün zu färben, was von Natur aus gar nicht grün ist“. Weil Hümbs fast keinen Kristallzucker verwendet, gilt das alte Sprichwort „einen Moment auf den Lippen ein Leben lang auf den Hüften“, für seine Kreationen nicht mehr. Essen solle „beschwingend, nicht beschwerend“ sein.

Für den Einstieg in die Gemüse-Dessert-Philosophie empfiehlt Hümbs Blumenkohl zu kochen, ihn zu pürieren und ein, zwei Drops weiße Schokolade hinzuzutun. „Man wundert sich, wie wohlschmeckend Blumenkohl dann plötzlich als Dessert ist“.  Ein cremiges Eis krönt den Blumenkohl-Nachtisch.

Rhabarbersüppchen mit Oliven- und Zitronenstückchen, Vanilleeis und als Krönung ein paar Splitter grasgrünes Estragongranité.

 

Für den Berliner Stephan Garkisch braucht Eis eine „schöne Süße, ohne dass es einen umhaut“. Eissorten, die es zu kaufen gebe, seien einfach zu süß. Deshalb erntet Garkisch in seinem eigenen Garten Bronzefenchel, Tagetes oder Ysop macht aus den Kräutern sein eigenes Eis. Das Dessert sieht er als „tollen Kitzel“. „Ich arbeite süß, übertreibe die Süße jedoch nicht“, sagt der Berliner. Wurzelgemüse gibt zwar immer noch Fonds den richtigen Geschmack, haben aber auch für das Finale den richtigen Schmackes.

Auch sein Milcheis ist fantastisch gelungen. Die kleinen Krümel aus der breiten Schote der Pompona-Vanille geben der Eiscreme ein atemberaubendes Vanille-Aroma mit „einem Hauch von Dörrfrüchten“. Schon holt der Koch die kleinen Taggiasca-Oliven aus dem Läuterzucker und schneidet sie klein. Die leicht bitteren Früchte hatte er eine Weile in dem Bad aus einer Hälfte Zucker und einer Hälfte Wasser eingelegt. Nebenan zogen seit sechs Wochen fleischige Zitronen in ihrem eigenen Saft und einer Menge Meersalz bis sie jetzt das typische Aroma von marokkanischen Salzzitronen haben. Garkisch nimmt nur die dicke Schale und zerteilt sie in kleine Schnitze und kandiert diese.

 

Die Nachspeise bleibt Nascherei, schmeckt aber zunehmend leicht sauer, manchmal salzig

 

Süßliches Vanilleeis, herbe Oliven, saure Salzzitronen – wird daraus eine verführerische Nachspeise? „Die wird köstlich“, lacht Garkisch und schaltet den Backofen aus. Eine halbe Stunde lagen dunkelrote Rhabarberstangen in etwas Zucker in der Wärme. Jetzt rührt er in den klaren Saft etwas Gelatine und lässt den Most leicht andicken. In das gelierte Rhabarbersüppchen kommen die Oliven- und Zitronenstückchen, einen Löffel Vanilleeis und als Krönung ein paar Splitter grasgrünes Estragongranité.

Die Kreation aus dem „Bieberbau“ ist einzigartig aber längst nicht das einzige Dessert, das in der Spitzenküche ungewöhnliche Zutaten präsentiert. Die Nachspeise bleibt Nascherei, schmeckt aber zunehmend leicht sauer, manchmal salzig. Die süße Zunft denkt darüber nach, wie sie im Restaurant beim grandiosen Anschluss des Abends neue Akzente setzt. Mit schnurpselndem Getreide, pikantem Gemüse und aromatischen Kräutern.

 

„Wenn der Gaumen durch das Wechselspiel unterschiedlicher Aromen ermattet ist, hat nur eine Geschmacksrichtung noch eine echte Chance, weil sie ganz anders ist: das Süße“, behauptet Gault Millau.

 

Pfirsich Melba, Mousse au chocolat, Creme Brûlée, die Klassiker bleiben klassisch, verschwinden aber zunehmend von den Speisekarten. Was noch vor kurzem undenkbar war, neben Schokolade, Strudel oder Sahne liegen zum Menüfinale manchmal Trompetenpilze Tannennadeln oder Trüffel auf dem Teller.

Übertreiben wollen es die Patissiere allerdings nicht. Immer mehr Gemüse auf dem Dessert-Teller erinnert zu sehr an eine klassische Vorspeise. Vor allem das „ältere Publikum möchte ganz klar ein süßes Dessert“, sagt Stephan Garkisch. Die Restaurantkritiker vom „Gault Millau“ maulten schon, „wenn der Gaumen durch das Wechselspiel unterschiedlicher Aromen ermattet ist, hat nur eine Geschmacksrichtung noch eine echte Chance, weil sie ganz anders ist: das Süße“.

 

„Spitzenpatissiers wissen sehr viel über Foodpairing“, sagt die Schweizerin Christine Brugger.

 

Doch die Küchenkünstler wollen ihren Gästen einen neuen Geschmack kredenzen und diskutieren darüber, was geht und was geht nicht. Karotte und Spargel sind fast so etwas wie Klassiker, die Gurke könnte ihre Dessertrolle finden, Erbsen gehen überraschend gar nicht, obwohl gerade die Jungen Perlen eigentlich zuckersüß schmecken.

„Spitzenpatissiers wissen sehr viel über Foodpairing“, sagt die Schweizerin Christine Brugger (www.aromareich.ch). Foodpairing zeigt, welche Zutaten sich ideal ergänzen und im besten Fall auf dem Teller ein Traumpaar bilden. Experten gehen so weit und malen baumartige Kronen in deren Mitte zum Beispiel die Erdbeere sitzt und verschieden lange Ästen anzeigen, dass die rote Frucht sehr gut mit Basilikum, Paprika oder dunkler Schokolade zusammenpasst.

Christina Brugger, die Expertin für Lebensmittelsensorik  versucht zu erklären, warum manche Beziehung funktioniert, obwohl sie nicht Liebe auf den ersten Blick ist. Karotten hätten ein leichtes Veilchenaroma, weil „es eine aromatische Schlüsselkomponente gibt, die bei Veilchen und Karotten identisch ist.“ Erbsen dagegen fehle ein Aromadetail, das man klassischerweise mit Süßem in Verbindung bringe. Mit Gurken „ließe sich wohl spielen, da diese eine Aromen-Verwandtschaft mit Melonen haben“, ist sich Brugger sicher.

Ihr Landsmann Rolf Caviezel kombiniert hauchdünn geschnittene Gurkenscheiben, die er in Vanilleöl mariniert hat, mit einem Mus aus schwarzen Bohnen, Quark, Essig und Olivenöl und drapiert kleine, mit Schokolade umhüllte Bananensticks hinzu.

Rene Frank aus dem Dreisterne-Restaurant „La Vie“ in Osnabrück feilte zwei Monate an seiner orange-grünen Komposition mit Karotte und Avocado. In einen Ring aus Safran und Isomalt, der wie ein flacher Donat aussieht, füllt Frank Karottengranulat und setzt ihn zu einer Creme aus Avocado und komplett glatt gemixten Haselnüssen. Umrahmt von ein paar Flocken karamellisierte Haselnuss-Crumble und wenigen Splittern Limetten-Passionsfrucht-Granité.  Obwohl es „immer Schokoholics und Süßigkeitenfans geben wird“, ist sich Rene Frank sicher, die Desserts der Zukunft „sind bewusst weniger süß, weniger fett und kalorienreduzierter“. Es geht darum kulinarische Kontraste abzumildern und nicht darum Gemüse krampfhaft zu süßen.