von foodhunter

Genuss bis ins Mark

Genuss bis ins Mark

Den Knochen auslöffeln war früher ein Genuss, denn so kam man an das feine Mark. Dann vermieste BSE die Delikatesse. Nun servieren Köche wieder Knochen samt Innereien. Foodhunter-Autor Oliver Zelt entdeckte Bone-Pudding, Pfannkuchen mit Mark oder Knochen mit Kümmelbrot. 

 

Autor Oliver Zelt,
Foto fotolia©Lucky Dragon

 

Lucki Maurer gilt in der deutschen Gourmetszene als einer der besten Fleischexperten. Auf seinem bayerischen Bauernhof streichelt er seine Rinder für ihr Wohlgefühl. Der Küchenchef legt gerne seine eigenen Tiere auf den Tisch und zerlegt sie auch selbst. Aus den kräftigen Hinterbeinen sägt Maurer mit Geschick die blanken Knochen in Stücke, die auf der einen Seite noch geschlossen, auf der anderen eine möglichst breite Öffnung haben. Die braucht er für seinen Bone-Pudding.

 

Für den Bone-Pudding füllt Lucki Maurer die dicken Knochenscheiben mit dem zuvor herausgekratzten Mark, das er mit Eigelb, Parmesan, Creme fraiche vermengt hat und mit etwas Muskatnuss und Cayennepfeffer würzt. Nach einer halben Stunde bei Oberhitze im Ofen sind die Marktörtchen im Knochenmantel fertig. Eine mit Safranfäden aufgepeppte Hollandaise ist die perfekte Zugabe.

 

Der ganze Knochen ist zurück in der Spitzenküche. Samt seinem Innersten. Zu den größten Vergnügen gehört es früher als der Braten zum Sonntagsfestessen auf dem Tisch lag, am Ende aus dem abgenagten Knochen mit besonderer Freude das Mark auszulutschen.

Jetzt geht es wieder ins Mark. Nach dieser Delikatesse dürfen sich Gourmets in Spitzenlokalen durchaus die Finger lecken, was sich für die höher gestellten Vorfahren keinesfalls geziemte. Für gute Tischmanieren lag schon am Anfang des 18. Jahrhunderts in den besseren Lokalen besonderes Besteck neben den Tellern. Mit einem länglichen Silberlöffel, an der einen Seite spindeldürr an der anderen etwas wuchtiger, schabten die Gäste das pikante Mark aus den vor dicken Knochen. Schon damals galten gebratene Markknochen als Delikatesse. Der Marklöffel liegt heute nur noch in den Auslagen der Antik-Händler, der kahle Knochen macht in der Küche wieder Karriere.

 

Foto fotolia ©bizoo_n

 

Im Restaurant „DasOx“ im hessischen Hilders suchte Björn Leist deshalb etwas länger nach passenden Löffeln. „Wir haben dann einen speziellen Dessertlöffel mit der richtigen Wölbung gefunden“, sagt der er. Die bringt der Service den Gästen jetzt zu wundervoll gratinierte Markknochen. Es sind Röhrenknochen von Rinderochsen. Das Familienlokal hat eine eigene Weide, die vor der Tür liegt.  In der Metzgerei, die ebenfalls zum Haus gehört, sägt der Fleischer die Knochen der Länge nach auf. Dann reibt der Koch nur ein wenig Bergkäse darüber und setzt das etwa 20 Zentimeter lange, halbierte Rinderbein in den Ofen. Dampfend heiß herausgenommen fehlen nur noch ein paar Krümel besten Salzes, grober Pfeffer und Schnittlauch-Ringe. Die Gäste bekommen zum Knochen ein hausgebackenes Kümmelbrot. „Damit saugen sie meist das nussige Fett des Marks auf und wischen noch den Rest aus“, sagt Björn Leist. Auf den extra ausgewählten Löffel verzichten die meisten.

Die Knochen stammen ausschließlich aus den Beinen und nicht aus dem gefährdeten Rückenmark, dessen Verwendung ohnehin streng verboten ist.

 

Das Mark gibt sein Remake nicht nur als kerniger Knaller direkt im Knochen oder als gebratene Scheibe. Bislang bietet zwar noch kein Koch seine Buletten mit Kalbfleisch und Ochsenmark an, wie sie Maria Sophia Schellhammer in ihrem 1697 erschienenen Buch „Die wol unterwiesene Köchinn“ vorschlug. Aber die guten alten Markklößchen kommen sogar in der Sterneküche auf den Teller.

 

In Dresden nimmt Stefan Hermann in seinem Lokal „Bean & Beluga“ dafür einen Teil Mark, einen Teil Toastbrot ohne Rinde und bindet die Masse mit einem Eigelb. In einer selbst gemachten Rinderbrühe pochiert der Koch die Klößchen bei sanfter Hitze und serviert sie dann zu einem bei ebenso sanfter Hitze mürbe gegartem Tafelspitz.

 

Das ist klassische Küche, aber Hermann weiß seine Gäste gekonnt zu überraschen. Mit Fleisch zum Fisch. Auf einer gebratenen Scholle liegen kleine Markbällchen, so wie die Klößchen geformt und gedämpft. Ein „schöner Kontrast mit wunderbarem Schmelz“, schwärmt der Koch über seine Kreation. Der Fisch bekommt in der sächsischen Küche noch dünne Markscheiben aufgelegt.

Dafür löst Hermann das rohe Mark aus dem Knochen, schneidet es in vier bis fünf Zentimeter dicke Scheiben und wässert das Innere mehrere Tage damit das Blut austritt und das Mark schneeweiß wird. Dann flämmt er es nur noch kurz mit einem bunsenbrennerähnlichen Küchengerät für eine krosse Oberfläche ab und drapiert die Plättchen auf den Plattfisch.

Für Hermann selbst ist eine kleine Markroulade ein großartiger Genuss. Dafür streicht er Mark auf einen dünnen Pfannkuchenteig, rollt ihn auf und pochiert den Snack. „Einfach so auf die Hand“, lacht der Koch. Oder als Einlage in einer Suppe.

 

Wer das berühmte italienische „Ossobuco“ bislang etwas abfällig als Reste-Braten aus Beinscheiben abtat, der sollte sich jetzt an den Kick des Gerichtes heranwagen, damit er das Beste nicht weiterhin verpasst. Nach etwa drei Stunden auf kleiner Flamme hat das Mark der Knochen beim Schmoren seinen feinen Geschmack an die Sauce abgegeben, ist aber dennoch nicht ausgelaugt. Auf eine Scheibe geröstetes Brot gestrichen lässt der kleine Snack den bombastischen Braten fast vergessen.

 

Als letzter Schrei gilt in New York inzwischen eine schlichte Knochenbrühe. Für „Bone Broth“ stehen Genießer am Straßenimbiss „Brodo“ im Stadtteil East Village Schlange. Aus Huhn, Truthahn oder Rind gekocht und in der Bouillon schwimmen nicht etwa als Gimmick die Markbrösel für eine Extraportion Power im Sud. Schon beginnt die Brühe über den großen Teich auf deutsche Streetfood-Märkte zu schwappen. Da würde sich Oma sicherlich freuen, wenn sie sieht, dass die Jugend endlich mal das macht, was die Alten schon immer gesagt haben. Denn immer noch gilt eine Brühe aus ausgekochten Knochen, Fleisch und Gemüse als die beste Medizin, wenn die Nase lief und der Nacken schmerzte. 

 

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