von foodhunter
Kategorie: Esskultur

Curnonsky – Urvater der Gastrokritiker und des Guide Michelin

Curnonsky - Urvater der Gastrokritiker und des Guide Michelin

Maurice-Edmond Sailland war der erste Gastrokritiker der Welt. Er erweckte die ehrwürdige „Confrérie de la Chaîne des Rôtisseurs” zu neuem Leben, setzte mit seinen gastronomischen Ausführungen den Beginn des Guide Michelin und gründete die erste Akademie der Gastronomie. Weltberühmt wurde er jedoch unter seinem Pseudonym: Curnonsky.

 

 

Autorin Sabine Ruhland,
Foto oben: Curnonsky (Mitte), ©Besitz Inge Huber

 

Jahrhundertkoch Eckart Witzigmann weiß sofort, von wem die Rede ist, und das nicht nur, weil er einige Jahre bei Frankreichs 3-Sterne-Koch Haeberlin im Elsass gearbeitet hat. Auch Jean-Marc Ferrara vom Restaurant Les Cuisiniers weiß es sofort, er ist zwar jung, aber schließlich Franzose. Inge Huber wusste es nicht, als sie vor einigen Jahren die ca. 200 Kisten an Büchern durchforstete, die ihr der Aufkauf einer Pariser Bibliothek bescherte.

In einigen Kisten befanden sich Briefe, Zeitungsausschnitte, Zigarrenbanderolen, Küchengeschichten und Menükarten. Doch bald erkannte die Münchnerin, dass sie einen Schatz in Händen hielt: den Nachlass des berühmtesten Gastrokritikers aller Zeiten.

 

1927 kürten 4.000 Köche den Franzosen Curnonsky zum „Prince des Gastronomes“, dessen Credo es war: „Die gute Küche ist, wenn die Dinge nach dem schmecken, was sie sind.“

 

Schwere Soßen waren ihm zuwider, am liebsten aß er regionale Produkte, stets nach Saison. Er liebte die Bauern, er liebte die große Restaurantküche und er vermittelte zwischen beiden. In den Restaurants ging er meist direkt an die Herde, lugte in Kochtöpfe und wählte daraus die gewünschten Speisen.

Seine Kritiken, die in allen französischen Gazetten zu finden waren, zeigten stets Feingefühl, waren nie verletzend. Leise und ein bisschen ironisch ließ er zwischen den Zeilen durchblicken, was für einen Eindruck das Essen auf ihn gemacht hatte. Seine schlimmste Form der Kritik war das Verlassen des Lokals, ohne mit dem Koch gesprochen zu haben.

 

Als erster Gastrokritiker machte er sich gemeinsam mit Marcel Rouff auf, die Provinzen Frankreichs kulinarisch zu entdecken, erfragte Rezepte und schrieb 28 Gastronomieführer über die Landesküchen. Er entwickelte eine Gastro-Kolumne für Michelin, die Grundlage für den späteren Guide Michelin.

 

Selbst gekocht hat Curnonsky nie, er ging täglich in die Restaurants, propagierte saubere, weiße Tischdecken, gutes Benehmen, die lokalen Spezialitäten und beurteilte die Küchen Frankreichs, Dafür teilte er sie in 4 Kategorien ein: die „hohe Küche„, die „bourgeoise Küche”, die „regionale Küche„ und die „ländliche Küche”.

So schuf er die Bewertungen 1,2,3 und 4, die später in die Sterne übergingen und bald allgemeiner Gastronomiestandard wurden. Er entwickelte zudem eine Werteinteilung, den „Ecu de France”, und gründete 1930 die Akademie der Gastronomie.

 

Die Zeitschrift „Cuisine et Vins de France” widmete Curnonsky zu seinem 80. Geburtstag eine Sonderausgabe. Das Original ist im Im Besitz von Inge Huber.

Die Köche verehrten ihn und hielten ihm stets einen Platz in ihrem Gastraum frei. An Curnonskys 80. Geburtstag deckten die 80 besten Restaurants von Paris ihm zu Ehren einen mit Blumen geschmückten Geburtstagstisch.

 

Die Begeisterung für diesen so typischen Franzosen, der den leiblichen Genüssen jeglicher Art zugetan war, der gerne schlemmte, auch mal soff und doch nie den guten Stil oder gar seinen Humor verlor, der die Dinge auf den Punkt brachte und Sport vehement ablehnte, hat auch Inge Huber erfasst.

Zu schillernd sein Leben, das von zahlreichen Prominenten und erotischen Liebeleien begleitet wurde, zu schillernd die Person selbst, die unter zahlreichen Pseudonymen schrieb und damit Zeit ihres Lebens für viele der große Unbekannte blieb.

 

Sie müssen Curnonsky sein“, sprach ihn die Wirtin eines französischen Landgasthofes einmal an. „Wie kommen Sie darauf?“ antwortete Curnonsky verblüfft. „Es ist die Art, wie Sie sich an den Tisch setzen, mit welchem Genuss sie die Karte betrachten und sich mit Vorfreude auf das Kommende umsehen.“

 

Unzählige wunderbare Geschichten gibt es um das Leben dieses einmaligen „Gastrosophen“, der 1872 in Angers das Licht das Welt erblickte und 1956 im Alter von 84 Jahren verstarb. Übrigens keinesfalls an der arg geplagten Leber wie man hätte vermuten können. Es war ein schlichter Fenstersturz.

Für Inge Huber genügend Stoff, um drei wunderbare Bücher über ihn zu schreiben. In Paris erhielt sie dafür den Gourmand World Cookbook Award in der Kategorie „Best French Cuisine Book“. Geschrieben – wie könnte es beim Thema Curnonsky anders sein – unter einem Pseudonym: Jeanne B. Barondeau.

 

« En cuisine, comme dans tous les arts, la simplicité est un signe de perfection. »

 In der Küche wie in der Kunst ist Einfachheit ein Zeichen von Perfektion.
Curnonsky.

Aus dem Buch „Curnonsly – oder das Geheimnis des Maurice-Edmond Sailland” von Inge Huber. Erschienen Collection Rolf Heyne
Arrow right icon