Die kulinarische Krönung holt der Koch aus dem Keller. In den kühlen Kammern der ehemaligen jüdischen Mädchenschule aus den goldenen Berliner 20er Jahren sieht es aus wie in Großmutters Speisekammer. Auf den Brettern der Holzregale stehen eingemachte Bohnen neben Fenchel, Petersilienwurzel, kandierten Orangen und silbrig-grünen Fichtennadeln. Etwa 2000 Einweckgläser mögen es in dem Gewölbe sein. Gerade hat Michael Höpfl vom Pauly Saal in Berlin den Naturkühlschrank unter der Erde ausbauen lassen. Wie einen Weinkeller, in dem es „jetzt durchgehend vierzehn Grad frisch ist“.
Autor Oliver Zelt
Der „Pauly Saal“ in ist eine der angesagtesten Locations der Hauptstadt. Die Crew serviert den erwartungsvollen Gästen eine avantgardistische Küche aus der Vergangenheit. Das Konzept von Höpfl heißt, es kommt möglichst nur das auf den Teller, was gerade draußen auf den Feldern um die Ecke wächst. Saisonales Kochen heißt, nicht immer alles sich vom Großmarkt aus der globalen Welt liefern zu lassen. Heißt aber auch den Geschmack der Saison zu konservieren. Aprikosen und Pfirsiche ziehen in einem konzentrierten Holunderblütensirup durch, „manchmal auch zwei Sommer lang“. Kürbis, Zwiebeln oder Spargel schichtet der Küchenmeister sanft in Einweckgläser und stellt die in einen Kombidämpfer. Dann garen Früchte Obst und Gemüse im Dunst bei 80 Grad. Im Glas verändern sie über die Monate im kühlen Keller ihren Geschmack. Höpfl vergleicht es mit einem Wein, “der mit der Zeit reift“. Es entstehe „ein sehr intensives Aroma”.
Die Philosophie der Alten peppt seit Jahren auch die Hoffmann-Küche auf. Früher standen im Keller seines inzwischen geschlossenen Restaurants „Margaux“ mehr als 5000 Gläser. Auch nach seinem Rückzug aus der Luxusgastronomie begleitet in Eingewecktes. Vieles geerntet auf der eigenen Scholle in Brandenburg.
Hinter rundem Glas leuchten kandierter Spargel mit rosa Pfeffer und Limonen-Essig, reifen Holunderblüten in einem süß-sauren Sirup mit Wein, Orangensaft und Vanillestangen oder schimmern in Salz eingelegten Trauben. Das Meiste hält sich ewig, sagt Hoffmann, „wenn es gut sterilisiert ist.“ Mit dem Zahnstocher sticht er kleine Löcher in eine Aubergine und legt die Frucht in einen Sud aus Essig, Wasser, Lorbeerblätter, Nelke, Meersalz und Isomaltzucker. Dann erwärmt er alles auf 85 Grad und lässt es wieder auskühlen. Drei Wochen lang, Tag für Tag, warm machen und kalt werden lassen. Anschließend kommt die Aubergine in den Vakuumbeutel. Am Ende, wenn die Aubergine schon wie feines Fleisch aussieht, die Frucht in Medaillons schneiden, in gesalzener Butter braten und frische Limonenschale darüberraspeln.
Im rheinland-pfälzischen Sinzig wählt Jean Marie Dumaine aus einer Unzahl von Einmachgläsern die Köstlichkeiten für seine regionale Küche aus. Wer denke, mit dem Einwecken zerkoche man alles, dem entgegnet Dumaine, „wenn man Qualität hinein tut, kommt auch wieder Qualität heraus.“ Stets freut sich der Chefkoch auf den Moment, wenn er den Deckel der Konserven öffnet und die intensiven Aromen zuerst in der Nase schnuppert und dabei gleichzeitig die Ideen für eine neue Kreation entwickelt. Dann serviert er etwa gebratene Steinpilze mit Risotto und Kapuzinerkresse-Pesto.
Zwei-Sternekoch Matthias Schmidt lädt sein Team mitunter zu einer Fahrt ins Grüne ein. Gemeinsam geht die Küchencrew des Frankfurter Restaurants „Villa Merton“ dann unter die Sammler und pflückt Fichtensprossen, Rosenblätter oder Holunderblütenknospen. Das passt wunderbar, Zutaten aus der nahen Natur für Schmidts naturnahe Kochphilosophie. Die winzigen Holunderblütenknospen liegen wenig später in einem leichten Holunderblütenfonds zusammen mit einem Schuss Essig, wenig Salz und noch weniger Zucker. „Die Produkte sollen ihren Geschmack im Glas behalten“, meint Schmidt und sterilisiert die Konserven höchstens eine viertel Stunde. Die feinen Fichtensprossen, grasgrün gesammelt und olivengrün gereift haben über Monate „ihr zitroniges Aroma entwickelt“ und bilden nun mit Reh und Waldpilzen ein Trio aus dem Tann.