Pilgern auf dem Jakobsweg? Fand unsere Autorin abwegig. Bis sie erfuhr, dass den französischen Jakobsweg erstaunlich viele Sternelokale säumen.
Autor Karin Lochner, Fotos Peter von Felbert.
Ich sitze im Le Bibent in Toulouse, der Hauptstadt Okzitaniens in Südfrankreich. Toulouse ist ein guter Einstieg für die Pilgerreise auf dem Jakobsweg. Einerlei, ob ich ihn nun spirituell oder gastronomisch zu gehen beabsichtige. Das Bibent steht zwischen historischen Arkaden und lockt mit feiner Brasserie-Küche. Das Innere gleicht einem Palast. Christian Constant, ehedem Chefkoch des Pariser Nobelhotels Ritz, führt das historische Lokal. César Ritz wäre mächtig stolz auf ihn.
Abends richte ich mich in einer historischen Mühle ein. Praktischerweise kann ich in der Moulin de Cambelong , nahe dem Dörfchen Conques, auch übernachten. Denn es ist daserste Sternelokal auf dieser Reise. Ich komme im Herbst, rechtzeitig vor der Winterpause, die Hervé Busset gerne für kulinarische Fortbildungsreisen nach Japan nutzt. Noch veredelt der Meister, was in seinem verwunschenen Kräutergarten oder auf moosigem Waldboden wächst. Seine von der Botanik inspirierte Kochkunst ist subtil und elegant, angeregt von alten Rezepten mit Wildkräutern und Wildgemüse: Eine Crème brulée parfümiert mit Anis, eine Blutwurst-Crepe oder die überraschende Mischung aus Sake, Basilikum-Reduktion und Zucchini-Cremesuppe.
In Albi erwartet mich der zweite Sternekoch meiner Reise, David Enjalran in seinem Restaurant L’Esprit du Vin. Der Gruß aus der Küche kommt in kleinen Waffeln wie ein Eis für Kinder. Eingelegtes Gänsefleisch, Ziegenkäse mit weißer Schokolade und eine kalte Erbsensuppe reicht der Meister, um mich einzustimmen.
Am folgenden Tag besuche ich eine Grande Dame der französischen Sterneküche in Belcastel. Nicole Fagegaltiers Lokal Vieux Pont ist das dritte Sterne-Restaurant auf meiner Pilgertour. Es liegt an einer engen Flussschlaufe des Aveyron, dem Fluss, der diesem Département seinen Namen gibt. Die Meisterköchin verkörpert die Prallheit einer reifen Kirsche. Seit vier Generationen gibt es das Lokal bereits. Sie kann selbst kaum glauben, was aus ihrem Elternhaus geworden ist. Nicole führt es gemeinsam mit ihrer Schwester Michelle, die den Service organisiert. Seit mehr als 20 Jahren wird die Finesse ihrerKüche mit einem Stern gewürdigt. Nicole lehnt sich zurück und fixiert das Dessert – ein Nest aus Engelshaar. Michelle lässt den Turm aus Erdbeerstückchen in die Höhe wachsen und vollendet die Spitze des Turms mit einem Sorbet aus Minze und Bergamotte.
Avantgarde der französischen Spitzenköche
Guillaume Salvan hingegen, Sternekoch Nummer vier, ist ein junger Wilder. In seinem Restaurant La Falaise kommt der Gruß aus der Küche als eine Krone aus Erbsenschoten. Darin stecken klitzekleine Lauchringe, außen schmücken Miniwürfel aus Radieschen das Ganze. Alles ist perfekt austariert. Der weit gereiste Koch war der klassischen Haute Cuisine überdrüssig. Er will nicht elitär sein. Zweifellos gehört er inzwischen jedoch zur Avantgarde der französischen Spitzenköche. Mit den hochdekorierten Kollegen aus der Region ist er befreundet. Gemeinsam begründen sie den Ruf als lukullisches Pilgerziel. Davon profitieren alle. Auch ich erliege dem Zauber seines lässigen Charmes. Mit dem kann der Meister in Sekunden eine freundschaftliche Nähe herstellen.
Michel Bras kommt von der einfachen Landküche. Heute nennt er 3 Sterne sein Eigen.
Höhepunkt meiner Pilgerreise ist das Essen bei Michel und Sebastien Bras. Ich darf in die Küche von Vater und Sohn eintreten und halte den Atem an. Das Gewusel eines gut geölten Küchenbetriebs schnurrt vor meinen Augen ab wie der Betrieb in einem Bienenstock.
Autodidakt Michel Bras kommt von einer einfachen Landküche. Er mag die Grundpfeiler bäuerlicher Ernährung: Kartoffeln, Kohl, Rind. Sebastien Bras, der Junior, ein ebenso leidenschaftlicher Verfechter der regionalen Küche. Beide zusammen: eine beeindruckende Mischung aus Hemdsärmeligkeit und stolzer französischer Küchen-Aristokratie. Zwölf Gänge in vier Stunden!
Es ist mein erster Besuch in einem 3-Sterne-Lokal. Und ich bin, wie nicht anders zu erwarten, schwer beeindruckt. Von einem Steinbutt mit Mangold und Zitrone. Er kommt mit vorzüglichem, kaum erkennbaren Kohlrabi, weil in feinste Streifen geschnitten. Ein göttlicher, lauwarmer Salat. Entenleber mit Erdbeeren und süß marinierten Minizwiebeln, begleitet von einer kecken Kombination aus Pfeffer und Vanille. Ästhetische Kunstwerke. Ich wage es kaum, sie mit der Gabel zu zerstören. Sodann: Milchlamm mit Mandelsauce und Safran. Ich bin zu aufgeregt, um zu notieren. Beim letzten Gang, dem Schlussakkord eines durchdachten Dessert-Defilees, einem Mürbteigtörtchen mit warmem Aprikosenmus und einem Sorbet mit Szechuan Pfeffer, finde ich meine Contenance wieder.
Schreibe erneut und säuberlich alle Eindrücke in ein kleines Büchlein, in dem ich meine Besuche in Sternelokalen archiviere wie ein Briefmarkensammler seine wertvollsten Sondermarken. Ich lehne mich zurück, atme tief durch und fühle mich so, wie sich Gott in Frankreich gefühlt haben muss.
Spitzen-Adressen für Gourmet-Pilger
Le Bibent, www.maisonconstant.com
Aux Armes d’Estaing, www.estaing.net
Moulin de Cambelong (1 Michelin-Stern), www.moulindecambelong.com
Vieux Pont (1 Michelin-Stern), www.hotelbelcastel.com
L’Esprit du Vin (1 Michelin-Stern)
Bras (3 Michelin Sterne), www.bras.fr