von foodhunter
Kategorie: Rezepte

Krönung bayerischer Kultur: das Weißwurstdiplom

Krönung bayerischer Kultur: das Weißwurstdiplom

Ein Scherz von Karl Valentin? Nein, das Weißwurstdiplom gibt es wirklich und jeder kann es erlangen – sofern er Bayerns edler Brühwurst die gehörige Portion Respekt zollt. Foodhunter Rudolf Danner wandelte einen Tag lang auf den Spuren der Weißwurst und das Diplom, ja das hat er selbstverständlich mit Bravour bestanden.

Autor und Fotos Rudolf Danner

Als „ Albinopimmel“, als „schrecklich unappetitlich in ihrer furchtbaren Haut“,  bezeichnet Gastrokritiker Wolfram Siebeck eines der höchsten kulinarischen Kulturgüter Bayerns. Doch es kann den Weißwurstfans „wurscht“ sein, welche Wörter ein nördlich des Weißwurstäquators Beheimateter ausspuckt und dabei die weiße Lady dank verbaler Geschlechtsumwandlung auch noch ins Maskulinum verkehrt. Die noble Wurstdiva mit vornehmer Kalbfleischblässe – weil ohne Nitritpöckelsalz – ist jedenfalls zum Exportschlager geworden. Sie durfte, in Vakuumkleid oder Aludose gezwängt, im vergangenen Rekordjahr bayerische landwirtschaftliche Produkte im Wert von  ca. 8 Milliarden ins Ausland begleiten.

Foto Foodhunter, Rudolf Danner

In einer Spelunke geboren, heute als ‘Méthode Champenoise’ auf dem Promi-Parkett

Ihr Aufstieg begann vermutlich 1857 in der Spelunke“ Zum ewigen Licht“ am Marienplatz in München, als dem Moser Sepp die Schafsdärme für seine Kalbfleischwurst ausgingen und er das feine Brät in einen Schweinedarm füllen musste. Sicherheitshalber ersetzte er das Braten der zart besaiteten Wurst durch Brühen. Die legendäre Weißwurst aus Mosers Wurschtkessel war geboren. Allerdings beschreibt auch Alexander Dumas in seinem „Wörterbuch der Kochkunst“ eine boudin hamburgeois, einen fein gestopften Darm, angereichert sogar mit dem Kaviar des Elbstörs. Zur “boudin blanc de luxe” empfiehlt der Vater der drei Musketiere weißen Burgunder. Warum sollten also die Promi-Zuzler auf der jährlichen Weißwurstparty beim Stanglwirt  zu den 8.000 Würsten nicht auch Champagner schlürfen? Adel verpflichtet, erlaubt sich aber auch Allerhand.

Ein neuer Trend ist die Weißwurst Méthode Champenoise, bei der ein Teil der Eismasse am Ende durch die Zugabe von Champagner ersetzt wird, den allerdings auch ein Sommelier-Gaumen im Abgang kaum wahrnehmen kann. Münchner Sterneköche (Alfons Schuhbeck, Otto Koch) scheuen sich nicht das Brät mit Chili und Bergkräutern aufzupeppen oder stopfen sogar Meeresfrüchte in den Schweinedarm.

Zurück zum Ursprung

Traditionell wird das zarte Geschöpf hergestellt aus Kalbsfleisch, Schweinerückenspeck, gegartem Kalbskopf unter Zugabe von Eisschnee, Kochsalz (kein Pökelsalz), frischer Petersilie, Pfeffer, Zitronenschale, Macis, Cardamom, Muskat,  Zwiebel. Der Muskelfleisch-Anteil sollte neben dem Schweinefleisch aus über 51 % Kalbfleisch bestehen, dazu kommt noch das Häutelwerk, gekochte, ausgelöste Kalbskopfteile mit Haut, Bindegewebsteilen, Schwarten – insgesamt unter 10 % der Wurstmasse. Fremdwassergehalt sollte nicht über 25 %, der Fettgehalt nicht über 30 % ausmachen.
Nachdem die Masse gecuttert, mit geheimer Gewürzmischung und frischer Petersilie versehen und der prall gefüllte Saitling bei 68° C etwa 25 Minuten im Wurstkessel gebadet hat, beendet ein Königsschnitt zur Konsistenzprüfung  die Herstellungsphase.

Foto Foodhunter, Rudolf Danner

Manfred Obermeier aus Pliening (seine Metzgerei wurde als beste Deutschlands ausgezeichnet) strahlt: „Sie geht dabei auf wie eine Blume“. Die Füllung quillt leicht über, versucht sich zu befreien und die Hülle abzulegen, ein angenehmer kräuterwürziger, unwiderstehlicher Fleischgeruch steigt auf. Der Weißwurstkenner wird vor dem Genuss noch mit Bedacht den passenden süßen Senf auswählen und sich für seine eigene Esstechnik entscheiden.

Die richtige Esstechnik – bitte nicht zuzeln!

Die bayrische Hardliner-Variante: Die Wurst in die Hand nehmen, in Senf tauchen, aus der Haut zuzeln. – Was, je mehr aus der Peller bereits raus ist, ein immer unappetitlicher werdender  Anblick ist.

Auf der Weißwurstakademie in Neumarkt empfiehlt Metzger Wittmann der Wurstkönigin mit dem Kreuzschnitt zu Leibe zu rücken. Mundgerechte Stücke werden step by step nach einem unvollendeten Schrägschnitt aus der Pelle gedreht. Diese Technik schützt  im Gegensatz zum vollständig Durchschnitt vor zu starker Abkühlung, das Aroma bleibt erhalten, das Essenstempo ist individuell regulierbar, Essenspausen sind möglich, jeder Bissen muss erarbeitet bzw. verdient werden.Der Münchner bestellt seine Weißwürste stückweise (also stets 2 Weißwürste und nie ein Paar Weißwürste!) auch wenn sie üblicherweise in meterlang abgebundener Girlande die Einspritzdüse verlassen. Welche Weißwurst er bevorzugt, ist fast eine Weltanschauung. Möglichst brühnaher Verzehr in heißem Zustand, glatte, glänzende, pralle Haut, frisches Petersiliengrün, blütenweiße Farbe , lockere Konsistenz, feines Brät, leichter Geschmack nach Zitrone und Kräutern, hoher Kalbfleischanteil, guter Schweinespeck, ausgewogene dezent pfeffrige Gewürznoten sind  entscheidende Qualitätskriterien.

Doch auch der ungeübte Weißwurstgourmet hat gute Chancen im Weißwursthimmel zu landen, denn von ca. 30 Teilnehmern bei der jährlich stattfindenden Prüfung der Münchner Metzgerinnung werden jedes Jahr über die Hälfte als nicht mehr verbesserungsfähig eingestuft und mit einer Goldmedaille prämiert. Die goldenen Münchner Weißwürste 2013:

  • Bernie Gaßner
  • Beate Huber
  • Roland Kuffler
  • Robert Malik
  • Karl Reichlmayr
  • Ludwig Schelkopf
  • Konrad Sedlmeir
  • Georg Schlagbauer
  • Josef Stadler
  • Ignaz Vogl
  • Martin Widmann
  • und die Firmen Moser, Jais, Vinzenzmurr, Boneberger

Geradezu mit missionarischem Sendungsbewusstsein zelebriert Norbert Wittmann, sein Seminar im 1.Bayerischen Metzgerei- & Weißwurstmuseum in Neumarkt. Bayerische Tradition, Handwerkskunst und Esskultur haben sich in der seit Oktober 2006 bestehenden Weißwurstakademie fest eingeschrieben und die Teilnehmer sind hochmotiviert alles Wissenswerte über Entstehung, Herstellung, Zutaten zu erfahren, wohl wissend, dass die theoretische und praktische Prüfung zur Erlangung des Weißwurstdiploms noch folgen wird. Und die hat es in sich? Wie schwer sollte eine Weißwurst sein oder bei welcher Temperatur wird die Weißwurst gebrüht? – Man muss schon gut aufpassen, um die 15 Fragen richtig beantworten zu können.

Foto Foodhunter, Rudolf Danner
( li) Foodhunter Rudolf Danner hat einen Tag lang die Weißwurst bis ins Kleinste kennengelernt. Seinem Appetit tat das keinen Abbruch – ganz im Gegenteil. (re.) Metzger Wittmann hatte mit dem Weißwurstdiplom eine saugute Idee.

Umfassende Informationen werden unterhaltsam dargeboten, nostalgische  Gerätschaften einbezogen. Norbert Wittmann, der zum 150.Geburtstag der Brühwurst im Münchner Hofbräuhaus den Herstellungsvorgang coram publico live demonstrierte, verwendet zu 100 % Vollmilchkalbfleisch, Speck vom Schwäbisch- Hällischen Landschwein, Kalbskopf, Naturgewürze und frische Petersilie. Mit schonender Kuttermethode wird die Bioweiße zweimal täglich hergestellt.

Doch vor den Genuss haben die Götter die Arbeit gesetzt: die Teilnehmer zupfen Petersilie, reiben Zitronenschale, wässern und spülen die Schweinedärme, ziehen sie auf die Einfüllstutzen, befüllen die Wurstspritze mit gecutterter Brätmasse, drehen das Rad um die Masse in die Düse zu drücken, spritzen den Darm voll, drehen die Würste ab und warten dann sehnsüchtig auf die Beendigung des ca. 25 minütigen Brühvorgangs bei 70° Grad. Ein eigens kreierter süßer Akademie-Ursenf nach altem Rezept, resche Brezen und das frische Neumarkter Lammsbräu Weißbier begleiten die Königin im Wurstrevier in den Gaumen der inzwischen mit Urkunde versehenen Weißwurstdiplomträger.

Tolle Geschenkidee für Hobbyköche – das Weißwurst-Wochenende für 164,50 Euro pro Person.
www.hotel-wittmann.de/4741-WEISSWURST-DIPLOM-WOCHENENDE.html

Noch ein Foodhunter-Tipp:
SENFREZEPT

Der richtige Senf ist Geschmackssache, aber süß muss er sein.  Wer seinen eigenen Senf dazugeben will, kann das folgende Rezept ausprobieren und gegebenenfalls nach seinem Geschmack abwandeln:

  • 200g gelbes Senfmehl
  • 50g grünes Senfmehl
  • 250g brauner feinkörniger Farinzucker

Alles vermengen.

  • 1,25 l Wasser
  • 0.8 l Essig
  • halbe Zwiebel
  • 2 Nelken, 1 Lorbeerblatt

Alles zusammen 1o Minuten kochen. Dann die vermengte Senfmehlmasse in den Sud einrühren und auf die gewünschte zähflüssige Konsistenz einkochen.

Arrow right icon