von foodhunter
Kategorie: Esskultur

Wie entsteht ein Rezept in der Spitzenküche?

Wie entsteht ein Rezept in der Spitzenküche?

Foodhunter Autor Oliver Zelt wollte es genau wissen. Wie entsteht ein Rezept? Das Arrangement auf dem Teller? Woher kommen die Ideen? Tanja Grandits, Kevin Fehling, Thierry Drapeau und Matthias Schmidt gaben die Antwort. Eine faszinierende Geschichte über Buntstifte, Gekritzel, Seifenblasen mit Geschmack und eine Wunschzutat, die ein Gericht bewirkte, das dann ganz ohne die Hauptdarstellerin auf den Tisch kam. 

 

Autor Oliver Zelt, Aufmacherfoto ©foodhunter

 

Tanja Grandits weiß immer wo ihre Buntstifte sind. Was da in ihrer Küche in Basel zum Malen auf dem Tisch liegt, würde jedes Kind gerne haben. Ein Stapel von Stiften in allen möglichen Farben der Welt. Die Schweizer Zwei-Sterneköchin braucht das Sortiment für ihre Skizzen. Auf dem Papier entstehen dann aber nicht etwa kunterbunte Zeichnungen sondern Entwürfe ihrer Rezeptideen in meist nur einer Farbe. „Für jedes Gericht gibt es ein Hauptthema und eine Hauptfarbe“, sagt Grandits.

Als Tanja Grandits die Idee hatte, neben einem Filet vom Loup de mer Maiscreme sowie Grapefruit-Salsa zu platzieren, nahm sie gelbe Stifte und malte mal dunkelgelbe mal hellgelbe Linien auf ihr Papier. Fisch, Mais und Grapefruit? Selbst ambitionierte Hobbyköche würden wohl Zweifel haben, ab das Trio harmoniert.

 

Was sich die Schweizerin einmal ausdenkt, „das passt auch“. Sie sei ein „Kopfschmecker“.

 

 

Bild: Tanja Grandits/Rene Graf Grandizs
BerglammVeilchenlack_WacholderGnocchi_Cassis Artischocken

 

Die eigenwilligen Kompositionen sind nie Willkür sondern gewollte Gemälde in einem Ton. Die Farbenküche ist das Markenzeichen der 42jährigen Köchin.  „Eine Farbe auf dem Teller konzentriert den Gast auf das Essen.“ Außerdem hat Grandits festgestellt, „gleiche Farben schmecken auch extrem gut zusammen“. Ganz in weiß präsentieren sich Aromen aus aller Welt bei Jasmin Milch, Kokos Chutney und Pastinake zur Bachforelle.

Gleiche Couleur bedeutet aber in Grandits Neun-Gänge-Menü keinesfalls farblichen Gleichklang. Auf Weiß folgt Gelb, wird von Grün abgelöst und kulminiert in einem sagenhaften Knallrot. Ihre Teller seien „natürlich unangestrengt“.  Im Baseler „Stucki“ gibt es „auf dem Teller keine Straße, die man abessen muss“. Auf den runden Platten liegt meist in der Mitte rundes Essen. Selbst die Maispoularde ist rund geschnitten, bevor sie mit Kreuzkümmel, Honig und Mango-Relish den Gaumen verwöhnt.

 

„Meine Zutaten wiederholen sich in anderen Konsistenzen“. Das zum flachen Zylinder angerichteten rotbraunen Rind-Bergpfeffertartar umrahmen aufgerollte rote Zwiebelscheiben, Zwiebelzipfel und geröstete Ringe. Dazwischen Tupfer eines himmlischen Himbeersenfes in hellerem Rotton.

 

Bild: Tanja Grandits/Rene Graf Grandizs
CalamarettiChiliSalz_AnisTomate_Focaccia Salat

Kevin Fehling kreiert seine Spitzengerichte am liebsten aus dem eignen Leben und kritzelt während seiner Schaffensorgie dutzende von Seiten mit Strichen und Schlangenlinien voll.

 

Wie neulich in Wien, als dKevin Fehling beim legendären „Plachutta“ ein Wiener Schnitzel aß und beim Biss in das saftige Stück Fleisch darüber nachdachte, ob die klassischen Ingredienzien Preiselbeeren, Zitrone, Sardellen und die Panade statt mit Kalb auch mit Kaisergranat harmonieren würden. Die Antwort war ja, fantastisch sogar.

Zu Hause marinierte Fehling einen rohen Kaisergranat und klopfte ihn zu einem dünnen Rechteck. Er verrührte Zitronenabrieb mit Creme fraiche und ließ die Masse in flüssigen Stickstoff rinnen. Die kleinen gelben Perlen zierten alsbald den platten Meeresbewohner genauso wie Minicroutons und Preiselbeergelee. Es fehlte der Kick mit der Sardelle. In Italien fand Fehling, was er suchte. In einem Holzfass legen die Einheimischen die Minifische in Salz ein. Was da unten raustropft, „ist der pure Sardinensaft“. Daraus machte der 36-jährige Chefkoch des „La Belle Epoque“ kleine Geleewürfelchen, die zusammen mit Petersilienkresse den Granat adeln.

Meist kritzelt Fehling während seiner Schaffensorgie dutzende Seiten mit Strichen und Schlangenlinien voll und nennt, das dann „kranke Zeichnungen“. Wenn das Gericht ein tolles Thema habe, bleibe oft der Geschmack auf der Strecke. Deswegen dauert es manchmal lange, „bis ich eine Aromenkombination im Kopf habe, die zum Thema passt“.

 

Legendär ist sein Dessert „Sonne, Mond und Sterne“, zu dem ihn einst seine einjährige Tochter mit ihren Blicken in den Abendhimmel inspirierte. Die Sonne als Zuckerball mit Mandarinensorbet, der Halbmond aus Orangengelee, das Sternbild „Großer Wagen“ als Kleckse und Linien einer Vanillecreme. Das Süße „aus Sicht eines Kindes“, freut sich Fehling. Dazu gibt es Streuselkucheneis und Sternanisgelee.

 

Das Arrangement Gänseleber, Haselnuss und Sanddorn ist ohnehin schon genial, aber die Geschichte ist noch viel genialer wenn das Trio als „Die Form des Goldes“ serviert wird. Ein schlichter Kühlschrankmagnet, den Fehling einst selbst kaufte, ist die Ursprungsform für den Gänselebergoldbarren. Der Abdruck einer Euromünze ist Vorlage für ein Geldstück aus goldenem Organschalenpüree. Die von der Natur geformten Nuggets symbolisiert der in Stickstoff getropfte Sanddornsaft  und für den klitzekleinen Goldstaub rubbelt Fehling gefrorene Gänseleber auf einer feinen Reibe.

Stets sucht der Norddeutsche nach dem, was noch nie dagewesen ist. Seifenblasen mit Geschmack, „die der Gast am Tisch gleich wegschnappt“, das war so eine verrückte Idee. Das Team hat es dann tatsächlich geschafft aus Zuckerkügelchen Blasen zu machen, die auch durch die Luft waberten. Aber von „zehnmal klappte es vielleicht bei der Hälfte“. Da hat Fehling das Experiment erst einmal gestoppt. Aber schillernden Seifenblasen liegen weiter in seiner Zeichnungsmappe.

 

Die Notizen der Nobelköche sind für die Küchenmeister etwa so viel wert wie ein echtes Nolde-Gemälde.

 

Als der französische Zwei-Sterne-Koch Thierry Drapeau seine Kladde während eines Kochkurses im russischen Jekaterinenburg verlor, setzte sein Kollege Michael Kowalew glatt 10.000 Euro Finderlohn aus, um die extravaganten Rezepte wieder zu finden. Das Heft bleibt bis heute verschwunden.

Matthias Schmidt verzichtet auf Zeichnungen. Der 2-Sternekoch aus Frankfurt/Main (nur noch wenige Tage, dann schließt sein Restaurant Villa Merton) denkt zuerst über die Harmonien der Geschmäcker nach. Die Optik auf dem Teller komme dann „fast von alleine“. Besonders im Winter muss Schmidt, der konsequent auf alles verzichtet, was dann an Frischem so bequem aus dem Rest der Welt in die Küche hereinschneien könnte, besonders erfinderisch sein. Dicke Stopfleber hat der Frankfurter aus seiner Küche verbannt. Aber die Konsistenz sei unverwechselbar. Deshalb grübelte Schmidt über eine Alternative nach und fand zusammen mit seinem Team die Innereien von Fischen. „Wir haben uns alle Süßwasserfisch-Lebern besorgt, die wir bekommen konnten und uns letztlich für die Wels-Leber entschieden“.

Dann lief Schmidt durch seine Küche und schaute, „was ich habe“. Gerade hatte er um die Ecke Beifuss gesammelt. Beifuss zur Leber, das könnte passen, dachte er und die kleinen Zwiebeln, die der Bauer von nebenan geliefert hatte, kämen auch infrage. Schließlich badeten die haselnussgroßen Zwiebelchen, nachdem sie Schmidt im Vakuum garen ließ und neben anderen Gewürzen mit Süßdoldenwurzeln aromatisierte, in einem kräftigen Beifuss-Sud. Da muss noch etwas Flutschiges dazu. Der Koch wusste genau, es sollte sein, „als wenn eine vollreife Mango in den Mund schlappt.“ Sein Team schlug vor, einen Champignon zu braten. Es ist der Champignon im Topf geworden, vollendet „in kochender Butter“. Ein Aroma fehlte dem phantastischen Puristen noch. Schmidt fand es in den dunkelgrünen Blättern des winterharten Bergbohnenkrautes.

 

„Es erweitert den Horizont, sich auf Region und Saison zu beschränken und die hiesige natürliche Vielfalt zu nutzen. Das macht uns kreativer“, sagt der Zwei-Sterne-Mann. Und tatsächlich entpuppen sich vermeintlich simple Duos wie Petersilienwurzelsaft mit Kresse als irre gute Kombination. Das schmecke gefroren, welche unglaubliche Überraschung, „ein bisschen nach Banane“.

 

Beim gemeinsamen Abschmecken, Probieren und Kosten landet mancher Favorit später nicht auf dem Teller. „Wenn ich unbedingt etwas mit Klettenwurzeln machen will“, sagt Schmidt, „kann es sein, das wir sagen, ok saure Milch passt schon mal dazu und nach vier Tagen feststellen, es schmeckt zusammen alles großartig, nur die Klettenwurzel müssen wir rauslassen.“

 

https://www.foodhunter.de/chefs-table-peter-maria-schnuss-das-falco-und-der-tisch/

 

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