Viele Frankfurter kennen sie gar nicht. Fremde verirren sich selten dorthin. Versteckt liegt sie zwischen der Einkaufsmeile Zeil und dem Römer. Ein Klotz aus Beton und Glas. 50er-Jahre-Architektur, wie sie auf diesem Niveau nur in Frankfurt möglich war. Davor groteske Granitstelen als Kunst am Bau, dazwischen eine Büste von Karl Hahn. „Trotzdem pilgere ich jeden Tag zur Kleinmarkthalle und berausche mich an ihr.”
Autor Klaus Trebes, Fotos ©Foodhunter
Wolfram Siebeck, vor Jahren zur Recherche nach Frankfurt gereist, nannte sie „die Uffizien der essbaren Genüsse“. Als er die Schwingtür zur Halle gefunden hatte, eröffnete sich ihm „der Mount Everest an Viktualien“ vor „einem Himalaja aus Obst und Gemüse, aus Früchten, Kräutern, Pilzen, Beeren und Gewürzen“.
Wenn ich auswärtige Gäste und Kollegen verblüffen will, führe ich sie genau hierher, in die Kleinmarkthalle. Für mich war dieser Ort in meinem Leben wichtig. Erste Einkäufe 1968, die sich in immer kürzeren Abständen wiederholten, führten dazu, dass ich mit meiner Frau 1984 ein Restaurant eröffnete. Kam ich vorher schwer beladen von den Einkäufen zurück, um Freunden Gerichte in solcher Zahl zu kochen, dass sie keiner bewältigen konnte, waren es danach die morgendlichen Spaziergänge des Profi- Kochs.
Die Wege durch die Halle sind wie eine Meditation im Kreuzgang des Klosters, ich berausche mich an der Fülle des Angebots, merke, ob die Saison für bestimmte Produkte wirklich beginnt. Hier entstehen Rezepte und Idee.
Diese Halle steht seit 1954 und ursprünglich boten nur Metzger und Gärtner ihre Waren an. Die Wandlung zum Eldorado vollzog sich mit Ankunft der Gastarbeiter in den 60er Jahren. Den Spaniern, Griechen und Italienern genügte die Qualität heimischer Tomaten und Auberginen nicht, sie verlangten nach Radicchio, Barba dei frati. Rapa, jungen Artischocken, nach frischem Knoblauch, grünem und wildem Spargel und nach Trüffeln.
Heute ist diese Vielfalt selbstverständlich. Am Stand von Franz Olbrich finden sich das ganze Jahr Choi Sam, Bittergurken oder Tong Choi, alte Tomatensorten und bestimmt die größte Auswahl an Chilis.
Ein weiteres Juwel des Marktes ist der Gewürzstand Franck, der alle Gewürze dieser Welt führt, Couscous-Grieß, Harissa, Ras el Hanout, Maniokmehl und exotische Getreidesorten. Ich kenne Köche, die von weit her anreisen, um hier sich zu versorgen. Wer will, findet Bio-Kost bei Bioland und bei Frau Wong Gemüse und Kräuter für die Thai-Küche, Curry-Pasten, verschiedene Chili-Sorten aus der eignen Gärtnerei, Pak Choi und eingeflogene Lotuswurzeln, grüne Mangos – so erfrischend sauer wie ein Granny Smith – asiatische Lebensmittel und Zutaten für die mittel- und südamerikanische Küche.
Bei „Teo“ gibt es täglich frisch, Hommos, Tabouleh, gefüllte Weinblätter und eine grandiose Auswahl an Oliven und Schinken. Zwischen Käse Kracht mit französischen und schweizerischen Käsen und Käse-Thomas, wo die frankophilen Feinschmecker ihren Munster, Ziegenkäse oder Fourme erstehen, feine Brüsseler Pralinen. In der Ecke versteckt, eine Halle in der Halle. Valentinos italienische Spezialitäten, der vieles aus Italien schon bot, als wir gerade Miracoli entdeckten.
Die ganze rechte Seite der Kleinmarkthalle ist den Metzgern vorbehalten.
Feinste Schinken und Spezialitäten aus aller Welt bei Peter Novak. Fast marktbeherrschend der Metzger Ullmann mit der besten frischen Bratwurst, die sogar den Franken milde stimmt, gutes Schwein samt aller Innereien. Bei Achmed, meinem marokkanischem Freund und Metzger und seinem Sohn, erstehe ich die besten Merguez der Stadt, finde ich trocken gereiftes Limousin-Rind, gutes Lamm, Kutteln und andere Innereien. Trinke morgens einen süßen, grünen Tee mit Minze, erfahre, wie die Geschäfte laufen. Daneben Frau Schreiber mit ihrem Wurststand. Legendär in Frankfurt die heiße Fleischwurst, Rindswurst, Krakauer oder Gelbwurst, immer mit der gleichen Frage serviert: „Haut ab, Senf, Brötchen?“ Selten widerstehe ich der Versuchung.
Ein Besuch auf der Galerie lohnt. Neben dem Fisch-Stand mit Hummern und Krebsen und Fischen, die der Franzose René gerne den Deutschen erklärt, und der auch ein paar Austern serviert, wirkt Freitag und Samstag die Familie Mann. Sie bietet Fleisch, Geflügel vom ei-genen Hof im Odenwald, dazu Wild und Wildgeflügel. Hier erstand ich meine ersten Schnepfen. Bressehühner, Tauben, Perlhühner, Wachteln aus Frankreich, deutsche Gänse und Wild fast jeden Tag bei Dietrich nebenan. Was fehlt, ist der große Fischmarkt südlicher Länder. Das kleine Becken im Untergeschoss, in dem Freitag und Samstag, Karpfen, Welse, Schleien schwimmen und auf dem Block daneben dann ihr Leben lassen, ist kein Ersatz. Doch komme ich von Märkten aus aller Welt zurück in meine Kleinmarkthalle, merke ich immer: es gibt fast nichts, was es hier nicht gibt.
Ich verlasse die Halle nie, ohne mit Frau Frieser einen kleinen Ratsch zu halten. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund, eine Marktfrau vom alten Schlag. Die Friesers mit ihrem Obst- und Gemüse-Stand gehörten zu den ersten Kleinmarkthalle-Betreibern und halten für die berühmte Frankfurter grüne Soß‘ die Kräuter fertig abgepackt bereit. Hineinschauen darf man. Sieben Kräuter müssen es sein. Im Winter fehlt oft Pimpernelle, ist zu viel Petersilie drin. Das Rezept steht auf der Packung. Will ich Neuigkeiten erfahren, ist Frau Frieser Auskunft, Nachrichtenbörse. Ihr Organ ist laut, spitz und frech die Ansprache, was ihr schon manchen Ordnungsruf der Bürokraten eingetragen hat. Sie sagt dem Joschka Fischer beim Einkauf ihre Meinung und laut, damit es alle hören, auch öfter ihrem Mann. Ein Markt ist kein steriler Supermarkt, das alles gehört dazu.
Anm. der Redaktion:
In Klaus Trebes hatten wir einen erfahren Koch und begnadeten Schreiber. Im Mai 2011 ist er gestorben. Seine Geschichten leben weiter. Seine Kochbücher hüten wir wie einen Schatz.