von foodhunter
Kategorie: Esskultur

Heuasche, Sellerieasche, Asche aus grünen Spargelstangen …

Heuasche, Sellerieasche, Asche aus grünen Spargelstangen ...
verbrannter Lauch, Asche

Was haben Asche und verkohltes Gemüse auf dem Teller zu suchen? Sie bringen archaische Aromen, schwärmen die Köche. Foodhunter-Autor Oliver Zelt hat sich durch Asche und Staub gegessen. Petersilienstiele, die Mund splittern, pechschwarzer Toast, Eis aus mehrfach angebrannter Milch, süße Zigarre mit Aschetupfen. „Es gibt Sachen, davon esse ich einen Löffel und denke, ich will noch zehn weitere haben“, sagt Chefkoch Sebastian Frank. „So ein Löffelchen Asche hingegen sei vermutlich auch das letzte Löffelchen.“ Trotzdem wird es auch auf seinen Tellern manchmal pechschwarz. 

 

Autor Oliver Zelt,
Foto oben verbrannter Lauch, ©foodhunter

 

Sebastian Frank freut sich auf sein Lagerfeuer. Statt Baumstämme muss er in seiner Küche (die eine ausgezeichnete Lüftung hat) Holzkohle nehmen und lässt sie im Grill durchglühen. Stimmt die Temperatur, setzt Frank kleine rote und gelbe Beete, die er vorher mit Schweineschmalz eingerieben hat, in die Kohlen und setzt einen Deckel auf den Grill. „Die müssen fünf Stunden durchgaren“, sagt der Chef. „Das wenige Wasser in den Bete-Kugeln verdampft langsam, „der Geschmack wird intensiver und es gibt eine kohleartige Kruste“.

Ist das Gemüse fertig, holt Sebastian Frank die Rüben aus dem Grill und bricht sie in Stücke. Außen glänzt ein schnurpseliger, schwarzer Rand, im Inneren locken die süßen erdigen Knollen. Dann erinnert sich der Österreicher an seine Heimat und die „Stoßsuppe“ aus der Steiermark. Dafür kochten die Hausfrauen früher als die Milch noch wirklich sauer wurde, die dicke Milch mit Essig und Kümmel auf und banden die ausflockende Flüssigkeit mit Mehl. Für die moderne Variante erhitzt der Koch Milch, Sahne und Essig, gießt ein Schlückchen Kümmelauszug hinzu, rührt Mehl und Schmand ein.

 

Die einen Gäste loben, die anderen lassen Gerichte mit Asche-Elementen komplett zurückgehen

 

Bleibt noch den Porree in seine Einzelteile zu zerlegen und die Streifen im 300°C heißen Ofen 20 Minuten zu rösten bis sie komplett wie Kohle aussehen. Anschließend zerbröselt der Koch den schwarzen Lauch. Auf einen tiefen Teller gibt Sebastian Frank eine Kelle kalte Suppe, richtet darauf die gegrillte Bete an und siebt  eine hauchdünne Schicht Lauchasche darüber.

Das Gericht hat im Restaurant „Horvath“ in Berlin-Kreuzberg „mächtig polarisiert“. Der Chef erinnert sich an einen Tisch, wo neun Italiener saßen. „Die haben das komplett zurückgehen lassen“. Die Restaurantkritiker vom “Gault Millau“ maulten, die „Asche hinterließ ein dumpfes, staubiges Gefühl auf der Zunge“. Andere jubelten.  Und Sebastian Frank selbst? Der fand es großartig. „Suppe, Bete und Asche, es waren nur drei Sachen und viele Facetten.“ Erdiger Geschmack der Bete trifft auf dumpfen Geschmack der Asche. Im Ganzen war das Gericht säuerlich, kühl und erfrischend.“

 

Heuasche, Sellerieasche, Asche aus grünen Spargelstangen  – auf die Teller im Restaurant legt sich immer öfter Staub.

 

Nicht nur die Spitzenköche stehen auf Asche und Verkohltes und lassen sogar gerne mal was anbrennen. Von archaischen Aromen ist dann die Rede und vom ungewöhnlichen Urgeschmack. Manchmal allerdings übertreibe die Avantgarde in der Küche.

„Die Asche ist eine Modeerscheinung“, meint Sebastian Frank, „gilt als cool und lässig“. Eigentlich sei das geschmackliche Spektrum der Asche eher bescheiden. „Es gibt Sachen, davon esse ich einen Löffel und denke, ich will noch zehn weitere haben“, sagt Frank. So ein Löffelchen Asche hingegen sei vermutlich auch das letzte Löffelchen. Denn anders als die wundervollen Röstaromen, die entstehen, wenn etwa Fleisch oder Gemüse in der Pfanne scharf anbrät und dabei sogar schwarze Streifen bekommt, verbrennt die Asche und hinterlässt keine Düfte. Trotzdem, als Komponente sei der schwarze Puder eigentlich nicht so schlecht, aber „mittlerweile wird es belanglos überall rüber gekrümelt“, ärgert sich Sebastian Frank.

Deshalb setzt der Berliner verkohlte Pflanzen auch sparsam ein. Bei einem Gericht mit Bratkartoffeln und Kopfsalat verblüffen kleine Halme, die wie abgebrannte Zündhölzer aussehen. „Es sind Petersilienstiele. Die habe ich komplett verkohlen lassen“. Beim Hineinbeißen splittern sie im Mund.

 

Aber was erlaubt sich die Elite der Köche da überhaupt? Haben sie vergessen, dass zu Hause jede verschmurgelte Toastecke sofort abgeschnitten wird und die Eltern warnend die Finger heben, das schmecke mies und schade der Gesundheit? Doch die Köche versichern, es komme auf die Dosis an. So ein bisschen Kohlestaub auf den Tellern schade nicht.

 

Der Patissier Daniel Lindeberg gehört zur kochenden Avantgarde und testet die Grenzen der schwarzen Mode aus. Lindeberg, jetzt im Wienercafeet in Stockholm (www.wienercafeet.com)  röstet er für seinen „French Toast“ eine Scheibe so lange, bis sie eigentlich nicht mehr genießbar ist, um sie dann mit weißen Trüffeln, Honig und Soja-Soße zu einem Ess-Erlebnis zu machen. Oder lässt Milch anbrennen,  füllt mit frischer Milch auf, und das wieder und immer wieder. Aus der entstandenen Röstcreme macht Lindenberg ein einmaliges Eis.

 

René Redzepi, der mit seinem „NOMA“ zahlreiche Restaurantbestenlisten anführt, hat Heuasche schon vor Jahren präsentiert. Er habe das „in einem 200 Jahre alten Kochbuch gefunden“. Damals sei das schwarze Pulver im Norden „ein ganz gängiges Gewürz“ gewesen.

 

Im „Freustil“ in Binz steht als Gruß aus der Küche hausgebackenes Brot, aufgeschlagene Butter und ein Streuer mit Aschesalz auf dem Tisch. Ralf Haug, der Chef im kleinen  und feinen Sternelokal, war einst in Redzepis Küche und hat die Idee mit der Heuasche von dort mitgebracht. Seinen Gästen gefällt das ungewöhnliche Gewürz. Nicht wenige schreiben später eine e-mail und bestellen das besondere Salz. „Ich verschicke das gerne“, sagt Haug.

 

Asche ist eine der wenigen Möglichkeiten abseits der Tintenfischtinte „die Farbe schwarz ins Spiel zu bringen“.

 

Ob aus Porree, getrockneten Spargelschalen oder Sellerie, die feinen Krümelchen haben ein leichtes Raucharoma. Haug vergleicht es mit dem typischen Grillgeruch, der einem sonst angenehm in die Nase steigt und der „nun eben im Mund liegt“. Manchmal überrascht der Sternekoch die  Gourmets und versteckt die Asche, wie bei der Mayonnaise zum Schweinebauch mit Erdbeeren. Denn die cremige Soße hat Haug mit Holzkohleöl aufgeschlagen. Für das intensive Rauchöl lässt er die durchgeglühten Kohlestückchen im Pflanzenöl ziehen und gießt es dann durch einen Filter mit kleinen Poren.

Es gibt Köche, die legen die Asche dorthin, wo sie vermeintlich hingehört, in den Aschenbecher. Oliver Röder aus dem Restaurant  „Bembergs Häuschen“ in Euskirchen serviert nicht nur den Männern ein ganz spezielles Herrengedeck. Neben einer Ochsenschwanzsuppe im Cognacschwenker steht eine Art gläserner Aschenbecher mit Ascheflöckchen aus Äpfeln. Obendrauf liegt als Zigarre eine Teigrolle mit kleinen Ochsenschwanzstücken. Das alkoholfreie Herrengedeck ist das Ergebnis eines Abends mit viel Alkohol. Röder und sein Team saßen zusammen und dachten darüber nach, was mit dem Fleisch vom Ochsenschwanz alles anzustellen wäre. Eine Zigarre am Nebentisch und einige Gläser Wein später war das Gericht „mit der witzigen Optik“, so Röder, entstanden.

 

Eine wahre Orgie aus Zutaten, Zeit und präziser Zirkulation veranstaltet 3-Sternekoch Christian Jürgens für seine „Zigarren mit Apfel-Sellerie-Asche“.

 

Äpfel und Sellerie lässt er 24 Stunden bei 60 Grad im Ofen trocknen, zerkleinert sie im Mixer, mischt Staub von verkohlten Pflanzen dazu und schmeckt mit Pfeffer, Ingwer, Muskat und Nelken ab. Gemahlenen Krokant mit Instant-Kaffepulver lässt er in einer rechteckigen Metallschablone langsam schmelzen und holt die Masse aus dem Ofen.

Noch lauwarm und leicht zäh legt Jürgens den Krokant über ein Metallröhrchen und zieht die erkalteten Hüllen ab. In die hohlen Krokantzylinder füllt er haargenau passende Gänselebereisstangen aus Portwein, Zucker, Ei, Salz, Trüffeljus und roher Stopfleber. Die süße Zigarre tupft er kurz in die Asche und legt sie dann auf ein kleines Schälchen in deren Mitte ein Rest Apfel-Sellerie-Asche den abgebrannten Tabak simuliert. – Die perfekte Illusion. Fehlt eigentlich nur noch weißer, aufsteigender Rauch.

 

Rauchigen Appetit bekommen? Hier die Adressen:

HORVÁTH
Paul-Lincke-Ufer 44a, 10999 Berlin
Mi-So ab 18 Uhr
www.restaurant-horvath.de

FRANTZEN
Lilla Nygatan 21, 111 28 Stockholm, Sweden
www.restaurantfrantzen.com

NOMA
Strandgade 93, 1401 København K, Dänemark
www.noma.dk

FREUSTIL
Zeppelinstraße 8, 18609 Binz
www.freustil.de

ÜBERFAHRT
Restaurant Christian Jürgens
Überfahrtstraße 10, 83700 Rottach-Egern
www.seehotel-ueberfahrt.com

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