Der Kanton Wallis liegt zwischen Rhônegletscher und Genfer See. Die Sonnenstube der Schweiz ist eingerahmt von 47 Viertausendern, die für das milde Klima sorgen. Ackerbau, Weinbau, Viehzucht prägen die Region. Drei Fünftel davon spielen sich an Berghängen ab. Nirgendwo sind Gastronomen so eng mit den einheimischen Bauern verwoben wie hier. Vielleicht leuchten auch deshalb über 50 Gault Millau Punkte und zahlreiche Michelin-Sterne am Waliser Gastrohimmel.
Autor Karin Lochner, Fotos ©Peter von Felbert
Verständlich, dass bei einem einzigen Besuch nicht alle kulinarische Gipfel erklommen werden können. Zu 2-Sterne-Koch Didier de Courten sollte der Weg jedoch führen, denn keiner kann die Seele des Wallis künstlerischer auf den Teller bringen. Das tut er überwiegend mit regionalen Lebensmitteln: Walliser Trockenfleisch, Fleisch der Eringer Kühe, Alpkäse, Safran, Früchte, Gemüse.
Für Didier de Courten genügen diese Produkte fast schon sich selbst. Sie zu benutzen, ehrt die Bauern und Traditionen seiner Heimat . Sein “Menue Saveur” kommt mit acht Gängen, wobei die drei Grüße aus der Küche nicht eingerechnet sind. Hauchzarte Scheiben des Eringer Rindes begeistern uns ebenso wie gelierte Spargelwürfel in einer Minz-Marinade mit Apfelsorbet und wollfadenfeine hausgebackene Grissini, ummantelt von Fleur de Sel und gartenfrischen Kräutern.
Ein Sternekoch als Freizeitbauer und Viehzüchter
Von seinen Großeltern, die Bauern waren, hat Didier de Courten den Sinn für Land und Boden übernommen. Seit Jahren lebt er im Val d’Anniviers. Dort zieht er Eringer Kühe auf. Eine seit mehr als 5000 Jahren bestehende typische Walliser Rasse mit feinfaserigem Fleisch und einem hohen Anteil an fettarmem Muskelfleisch. Dieses Fleisch gehört zur Sternenküche wie der sprichwörtliche Eigensinn zu den Wallisern.
Didier de Courtens Heimat ist innerhalb der Schweiz auch für seine bisweilen kuriosen Besonderheiten bekannt. Der Kampf der Eringer Kühe sticht dabei heraus wie das Matterhorn aus dem Bergpanorama. Die berggängigen, anpassungsfähigen Rinder sind für ihre natürliche Streitlust bekannt. Sie duellieren sich, um die Hierarchie in der Herde auszufechten. Nichts ist einstudiert oder trainiert, wenn die muskelbepackten Kühe zusammenstoßen. Die Gewinnerin wird die Herde auf den Sommerweiden anführen. Die Verliererin dreht sich stoisch weg und verlässt die Kampfarena. Ganz und gar friedlich. Verletzt werden weder Mensch noch Tier.
Gasthaus Breithorn und das Trockenfleisch
Eine weitere Spezialität aus dem Fleisch der Eringer Kühe ist das Trockenfleisch. Entstanden aus der Not, haltbare Vorräte für den Winter anzulegen. In trockenem Klima ist es vorteilhafter, Fleisch zu trocknen als zu räuchern. So entstanden dank der Sonne und den Winden, die durch das Rhônetal wehen, und durch den Einfallsreichtum der Bauern die Methoden des Einsalzens und des Trocknens. Die Fleischstücke werden mit einer Salz-Gewürz-Mischung mariniert. Jeder hat dabei sein eigenes Rezept, das er wie ein Staatsgeheimnis hütet.
Hervorragendes Trockenfleisch gibt es überall im Wallis. Ganz vorzüglich ist es im Lötschental. Das Gasthaus Breithorn, in dessen Räumen die Zeit stehen geblieben zu sein scheint, offeriert Marie-Madlen Hasler ein Essen, das wir nie und nimmer in einer einfachen Dorfwirtschaft erwartet hätten: Bio-Lamm-Ravioli, perfekt ausgewogen in ihrer würzigen Sauce. Lammgrillwürste mit Rösti und Trockenfleisch, das auf der Zunge zergeht. Dass das Trockenfleisch auf der „Walliser Platte“ diesmal nicht nur vom Rind stammt, sondern auch vom Lamm, macht uns neugierig. Nicht weit vom Breithorn entfernt, lebt und arbeitet Jungbauer Daniel Ritler, der an Marie-Madlen Hasler liefert. Er veredelt gemeinsam mit dem örtlichen Metzger sein Schaf- und Lammfleisch zu Koteletts, Rollbraten, Trockenfleisch, Trockenwurst und Lammjäger. Seine Schafe haben freien Auslauf und genießen ein Leben auf der Alp im Lötschentaler Unesco Welterbe, womit die hohe Qualität seiner Produkte ihren Ursprung gefunden hat.
Heimat von Cäsar Ritz und 70 Gault Millau Punkte
Rustikal geht es auf den ersten Blick in der Tenne im Obergoms zu. Als wir über die karge Landschaft des Furkapasses die engen Schluchten des Obergoms erreichen, wähnen wir uns in einer märchenhaften Welt. Eigentümliche Würze liegt in der Luft. Satt grün leuchten die Bergwiesen. Tourismus ist noch nicht so verbreitet wie anderswo. Dabei hat das Goms eine Fülle großartiger Lokale zu bieten. Hier ist die Heimat von Cäsar Ritz, dem Urvater der modernen Gastfreundschaft, Gründer der Ritz-Hotels und Kompagnon von Meisterkoch Auguste Escoffier. Seine Ideologie hat Spuren hinterlassen. Viele Gasthäuser verpflichten sich als „Cäsar Ritz Betrieb“ und entwickeln Neuinterpretationen des berühmten Landsmanns. Wir erkunden das Tal mit dem Rad, und nicht nur die zurückgelegten Kilometer, sondern auch die kulinarischen Höhepunkte rauben uns den Atem. In fünf verschiedenen Lokalen speisen wir jeweils einen Gang und sammeln bei dieser Tour neben einem gehörigen Muskelkater insgesamt sagenhafte 70 Gault Millau Punkte. Natürlich gehört die Tenne zu den angefahrenen Zielen. Die drei Männer des Hauses, Seniorchef Ewald Michlig und seine Söhne Kilian und Fernando, sind Köche und Jäger, steuern eigenhändig die Wildspezialitäten der Speisekarte bei. Auch das wird zu Trockenfleisch verarbeitet. Zu all der Arbeit im eigenen Haus haben die Michling-Männer auch noch einen interessanten Nebenjob: Trainer der Schweizer Kochnationalmannschaft.
Zurück zu den Wurzeln: Agroturismo Ossona
Bei uns hingegen ist Schluss mit Training. Unsere zitternden Beine brauchen Ruhe und Entspannung. Dafür gibt es keinen besseren Ort als den autofreien Weiler Ossona. Man findet den autofreien Weiler auf keinem Navigationssystem. Um hierher zu kommen, muss man wandern oder sich als Übernachtungsgast mit dem Bauern verabreden, damit er einen mitnimmt. Kühe, Geißen, Zicklein, Hühner, Schweine und Pferde weiden und trotten über die Wiesen. Wer will, kann bei der Fütterung der Tiere helfen, beim Stall ausmisten, Kirschen und Aprikosen pflücken, mit Bäuerin Maria Pires Konfitüre machen oder Butter mit Bauer Daniel Beuret. Agrotourismus, ein Mix aus Landwirtschaft und Tourismus, nennen die Schweizer das Konzept. Ein modernes Wort für die Rückkehr zu den Wurzeln.
Neben dem Bauernhof betreibt das Wirtepaar ein Lokal und bietet die eigenen Produkte zum Verkauf an. Der Ziegenkäse könnte frischer nicht auf den Tisch kommen. Dass es dieses urtypische Fleckchen Erde gibt, ist Maria Pires und Daniel Beuret zu verdanken, die den einst verlassen Ort wiederbelebt haben. Zur Lebendigkeit trägt auch Jean-Marc Satori bei. Der Belgier mit italienischen Wurzeln führt die Küche. In Brüssel war er schon in einem 2-Sterne-Betrieb tätig. Doch hier zu wirken begeistert ihn mehr. Für ihn gibt es nichts Erhebenderes, als mit absolut frischen Produkten zu improvisieren. Es gibt heute Zicklein und Ofenkartoffeln mit gedünsteten Tomaten. Weil genau diese Zutaten jetzt da sind.
Chez Vrony – Prinz William und und eine Heusuppe mit Gerste
Als der Muskelkater seine eiserne Klammer löst, wollen wir die Walliser Berge zu Fuß erobern. Nach dem Aufstieg können wir uns auf 2100 Metern Höhe an Tische setzen, wo schon Prinz William und Robbie Williams bewirtet wurden. Das Bergrestaurant Chez Vrony in Findern bei Zermatt ist bei Promis wie Normalsterblichen gleichermaßen beliebt. Vor 100 Jahren war es ein spartanisch ausgerichtetes Bergbauernhaus, heute sprechen die 13 Gault-Millau Punkte vom Gegenteil. Vrony Julen verwandelte ihr Elternhaus mit Geschmack in eine Gourmetdestination von Weltruf. Und doch ist die Hausherrin den bäuerlichen Wurzeln treu geblieben. In der Küche werden die Eigenproduktionen aus der kleinen Landwirtschaft verwendet. Acht Milchkühe hat Vrony. Auf der Speisekarte stehen Gerichte wie eine ‘Heusuppe mit Gerste‘ und ‘Bloody-Mary-Suppe mit Lamm-Churizo-Würfeln und Basilikum-Schaum‘ einträchtig nebeneinander. Dürfen sie auch. Beide schmecken köstlich. Beim Hauptgericht Alpen Egli (Flussbarsch) begegnet uns wieder eine Walliser AOC Spezialität, die im Oktober geerntet wird: Munder Safran. Von Zermatt aus wandern wir eine letzte Tour dreißig Minuten bergauf in den Weiler Zumsee mit den typischen Bergbauernhäusern zum gleichnamigen Lokal. 14 Gault Millau Punkte krönen das Anwesen, obwohl es hier eher nach Rösti und Grillwürstchen aussieht als nach Feinschmeckertempel. Max und Greti Mennig, er aus Würzburg, sie aus Oberösterreich, führen das Restaurant seit mehr als 25 Jahren. Trotz der Küche im Miniaturformat kocht der Portugiese Adelino da Silva ausschließlich frisch und à la minute. Auf unserem Teller dampft ein vorzügliches Lammfilet mit Kartoffelgratin. Max spendiert als Nachspeise die berühmte Cremeschnitte, um uns den Abschied zu versüßen. Als wir satt den Heimweg antreten, werfen wir einen letzten Blick zurück. Über den Dächern flattert die Schweizer Fahne und ein wohliger Schauer ergreift uns, als Wolken wie Seidentücher mit dem Matterhorn spielen. Wir kommen wieder, denn viele Genussgipfel warten noch auf uns.
DIE ADRESSEN
- Didier de Courten kocht in seinem Restaurant im Hotel Terminus in Siders / Sierre www.hotel-terminus.ch
- Dani’s Lamm und Genuss-Hofladen, Ried 38, CH-3919 Blatten / Lötschental Tel. +41 (0) 79 217 51 51, www.danis-lamm.ch
- Tenne, Furkastrasse 2 CH-3998 Reckingen-Gluringen, Tel. +41 (0) 27 973 18 92, www.tenne.ch
- Hotel Breithorn, CH- 3919 Blatten / Lötschental / Tel. +41 (0) 27 939 14 66
- Ossona www.ossona.ch
- Zum See www.zumsee.ch
- Chez Vrony www.chezvrony.ch